Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Steinhaus am Fuße des Hügels. “Armando, Armando”, wiederholte er. “Armando mecanico.” Die Werkstatt erwies sich als ein Hof mit viel altem Schrott, einigen Autowracks und drei gleichmütig schauenden Indios. Einer, mit einem zerlöcherten roten Pullover, öffnete die Motorhaube und besah sich den Schaden. “Schweißen”, stellte er fest und gab auf spanisch an die anderen Anweisungen. Die schleppten daraufhin ein Schweißgerät und einige elektrische Leitungen heran. Gaby fühlte sich auf ihrem Autositz äußerst unbehaglich. Die Männer schienen sie nicht zu beachten, nur hin und wieder traf sie ein verstohlener Blick unter buschigen Augenbrauen. Nachdem alle Vorbereitungen zur Reparatur getroffen waren, gab es auf einmal ein neues Problem: Stromausfall in Aquitania! Armando zuckte gleichmütig mit den Schultern: “Mañana, mañana!” Das hieß soviel wie: morgen wieder. Hubert protestierte, und nach vielem Hin und Her und einigen extra Scheinen, die den Besitzer wechselten, band Armando den Auspuff mit einem Draht fest. Hubert war zufrieden. “Not macht erfinderisch. Bis morgen wird das schon halten. In Paipa gibt es eine größere Werkstatt. Und jetzt mal sehen, wo das Restaurant ‘Pozo Azul’ ist. Die Forellen warten schon auf uns.” Gaby hatte gehofft, daß er nun auf dem direktesten Weg zurück mit ihr ins Hotel fahren würde, aber Hubert lachte: “Ich werde mir doch die besten Forellen Kolumbiens nicht entgehen lassen.” Sie schluckte das ungute Gefühl hinunter, das sie beschlich. Auch noch abergläubisch werden, verspottete sie sich selbst und sah einer mageren, schwarzen Katze hinterher, die zwischen den gelbbraunen Sträuchern verschwand. Das Lokal lag direkt am See. Man erreichte es über eine ausgetretene, steinerne Wendeltreppe, die in bizarren Krümmungen steil nach unten führte. Hubert mußte sie fest am Arm halten, damit sie überhaupt zum Restaurant hinuntersteigen konnte. Ein alter Mann, in einen Poncho gehüllt, saß am Anlegesteg und war neben seiner ausgeworfenen Angelrute eingeschlafen. “Frischer kann man Fisch nicht bekommen.” Hubert nahm erwartungsvoll Platz. Es schmeckte ihm dann auch ganz hervorragend, während Gaby versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr war nicht gut. Sie wollte nichts anderes, als zurück zum Hotel. “Köstlich, die Mandeln zur Forelle.” Hubert wischte sich den Mund mit einer blütenweißen Serviette ab. “Können wir gehen?” fragte sie dann doch. “Stell dir vor, wenn der Auspuff nicht hält? Dann müssen wir im Auto übernachten!”
Hubert winkte gleichmütig ab. “Keine Bange. Der hält schon. Die Leute hier sind groß im Improvisieren.”
Was den Auspuff betraf, behielt er recht. Der hielt. Dafür leuchtete auf einmal vorne am Armaturenbrett eine Lampe auf. Ein pfeifendes Geräusch setzte ein. Nur mit Mühe unterdrückte Hubert ein weiteres Schimpfwort, als Gaby ihn fragend ansah. “Der Keilriemen ist zu lose.” Und nach einem Augenblick der Stille fügte er noch hinzu: “Der Motor erhält zu wenig Strom.” Gaby wollte nur eins wissen: “Können wir weiterfahren?” Draußen dämmerte es. Wie immer in Kolumbien brach dann die Nacht schnell herein. Um sechs Uhr abends war es stockdunkel. Hubert nickte, wollte schalten und hatte auf einmal den Schaltknüppel in der Hand. “Verdammt”, schimpfte er jetzt doch und fuhr den Wagen rechts an den Weg. Sie standen oben auf einem Berg und weit und breit war nichts zu sehen. Wegen der hereinbrechenden Nacht war das auch sowieso beinahe unmöglich. “Ich glaube, ich laufe zurück”, sagte Hubert nach einer Weile. “Vor ungefähr zehn Minuten bemerkte ich eine Hütte mit Licht. Ich will versuchen, Hilfe zu holen.” — “Und ich?” Gaby schauderte. “Am besten, du bleibst hier im Auto. Dann ist der Wagen auch nicht leer. Man weiß ja nie.” Gaby sah ihn starr an. “Verriegele die Tür von innen. Dann kann nichts passieren.” Nach wenigen Schritten hatte die Dunkelheit Hubert verschluckt, wie ein Raubtier seine Beute. Gaby zog die Beine an und umklammerte sie fest mit ihren Händen. Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte er sie allein gelassen. Nicht ein liebes Wort, bevor er sie in dieser Wildnis zurückließ. Hatte er denn kein Gefühl? Konnte er sich nicht vorstellen, wie sie sich fühlte? Oder war ihm das nur lästig? Ob er jemanden finden würde, der ihm helfen konnte? Und wie lange würde das dauern? Alle möglichen Schauergeschichten von überfallenen Touristen
Weitere Kostenlose Bücher