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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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man sich beim Aperitif an der Bar festhalten konnte, und zum Essen konnte man sich hinsetzen. Der kritische Punkt war, daß sie rechtzeitig im Lokal war, so daß sie nicht von einem zum anderen gehen mußte. Dann wurde sie von allen angesehen, dann zitterten ihre Beine, dann konnte sie ohne Huberts Arm nicht mehr gehen. Empfänge waren die Hölle. Man war gehalten, entspannt von einem zum anderen zu gehen, stehen zu bleiben, anmutig aus einem Glas etwas zu trinken und zwischendurch von einem gereichten Tablett ein Häppchen zu nehmen. Das bedeutete für Gaby, alleine stehen zu müssen. Sie konnte schon seit Jahren nicht mehr alleine stehen. Natürlich gab es Tricks. Die Gastgeber begrüßen und sich dann mehr oder weniger anmutig gegen eine Kommode lehnen. Dann hatte sie eine Stütze im Rücken, dann ebbte die Panik ab. “Du mußt eben mitkommen, jemanden begrüßen”, forderte Hubert hin und wieder. Dann klammerte sie sich an seinem Arm fest und begrüßte, lächelte und hoffte, daß niemand die Schweißtropfen bemerkte, die ihr im Nacken hinunterrannen. Kalter Angstschweiß! Irgendwann einmal breche ich zusammen. Zwischen all diesen lächelnden, wohlgekleideten Menschen breche ich zusammen, und dann liege ich vor ihren Füßen.

    Gaby setzte ein Kreuz auf den vierundzwanzigsten Mai. Am vierundzwanzigsten Mai war der Empfang beim großen Boß. Der Empfang des Jahres, sagte Hubert. Sie ließ die Kalenderblätter durch ihre Finger gleiten. In letzter Zeit hatte sie noch eine andere Marotte entwickelt. Immer, wenn sie eine Verabredung auf den Kalender schrieb, einen Arztbesuch, einen Elternabend, eine Kaffee-Einladung, immer fragte sie sich: Was wird dann sein? Ist “es” dann geschehen?
    Sie wußte nicht, was “es” war. Sie wußte nur, und das wußte sie ganz genau, daß danach alles anders sein würde. Nie wieder würde es so sein, wie es heute war. “Es” war die Zeitbombe, die zu ticken begonnen hatte.

    Als Gaby am Mittag des vierundzwanzigsten vom Friseur zurückkam, hatte Hubert einen Moment unwillig die Augenbrauen zusammengezogen, dann hatte er gelächelt. “Sieht ganz nett aus, ja. Und wachsen tun sie ja auch wieder!” Früher hatte er gesagt, daß er sie nicht mehr lieben würde, wenn sie sich die Haare kürzer schneiden lassen würde. Vielleicht trat das jetzt ein. Sie hatte von ihren Haaren etwas abschneiden lassen, mindestens fünf Zentimeter. Und doch war es ein Kompromiß: halblang. Mit halblangem Haar wirkte sie nicht wie ein ältlicher Teenager, es sah jugendlich aus, aber nicht lächerlich. “Ja, wirklich, ganz nett”, sagte Hubert. Kein Wort natürlich, daß er sie jetzt nicht mehr liebe. Ihre Haarlänge war ihm egal. Sie nahm eine weitere Beruhigungspille. Das neue Kleid stand ihr gut. Weinrot mit einem leichten Goldglanz. Während sie sich zurechtmachte, ein wenig grünen Lidschatten auf die Augenlider, die Wimpern tuschen, den Mund mit der gleichen Farbe ausmalen, die das Kleid hatte, glaubte Gaby, eine Puppe anzumalen. Ein hübsches Gesicht, dachte sie, eine Maske, die noch beinahe makellos die Schlangen im Zaum halten konnte. Sie nahm noch eine Tablette und spülte sie mit einem Martini hinunter. Hubert hatte einen neuen, weißen Anzug an. Hatte er sich in Kolumbien machen lassen. “Maßanzug”, sagte er und lächelte abwesend. Er sah wunderbar aus. Ein Herr vom Scheitel bis zur Sohle. An ihm war nichts auszusetzen.
    Die Begrüßung beim “großen Boß” war angemessen. Freundlich die Hand schütteln. Bloß nicht zu lange stehenbleiben! Gaby sah sich gehetzt um. Wo war eine Kommode, ein Tisch, an den sie sich lehnen konnte? “Meine Frau, sie haben meine Frau noch nicht begrüßt!” Eine reizende Frau, bester Stall, das konnte man sehen. Moderne Kurzhaarfrisur, lebhafte Augen. Mehr als nur eine reizende Maske. “Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?” Ein echter Butler reichte ihr ein Tablett. Einen Whisky, dachte Gaby. Ein Whisky, das ist anderer Tobak. Mit einem Whisky konnte sie vielleicht später auch alleine stehen.
    “Ach, Gaby, reizend, dich wiederzusehen.” Sie schüttelte ein paar Hände, fühlte an ihren Wangen vorbeigehauchte Küsse. “Wo ist denn der liebe Hubert?” Sie hörte ein melodisches Lachen. “Ja, ich sehe ihn schon. Dahinten bei den Damen. Natürlich, wie könnte es auch anders.” Wieder das melodische Lachen. Oder war es höhnisch? Gaby lehnte sich fester gegen die Kommode. “Darf ich der Dame noch etwas zu trinken reichen?” Der Butler

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