Zuckerpüppchen - Was danach geschah
abzugewinnen. Auch beim zweiten Mal hatte sie es nur wie einen Fleischmarkt empfinden können, in dem nichts anderes als primitivste Lust und Leidenschaft angeboten wurde. Es ekelte sie, derart benutzt zu werden, auch wenn es ‘nur’ um ihren Körper ging. Endlich wieder zu Hause, hatte sie eine Stunde lang im Bad gelegen und versucht, die Fingerabdrücke von ihrer Haut zu waschen. Sie glaubte, daß jeder sehen müßte, daß sie sich hatte verkaufen lassen. Nicht für Geld, sondern um Liebe zu bekommen. Um von ihrem eigenen Mann Liebe und Treue zu bekommen.
“Ich will das nicht”, hörte sie sich laut sagen. “Ich will das nicht. Ich kann es nicht. Es bringt mich um.”
Die Tabletten halfen ihr in einen unruhigen Schlaf, in dem sie von nackten Männern verfolgt wurde, die alle die Hände nach ihr ausstreckten. “Du gehörst uns allen”, riefen sie. “Dein Mann sagt es. Du hast nichts zu sagen. Er hat das Recht.” Sie lief und lief. Ihre Seite tat ihr weh. Sie wollte sich nicht wieder fangen lassen. Sie mußte diesen Händen entkommen.
“Soll ich dir ein Glas warme Milch bringen?” Hubert stand an ihrem Bett. Rote Rosen brachte er ihr. “Ich liebe dich”, sagte er. “Du bist wunderbar.”
Die Nähe, die Gaby nur selten fühlte, wenn sie mit ihrer Tochter sprach — in den Briefen, die sie ihr schrieb, fühlte sie sie immer. Natalie war auf Weltreise. Schon als junges Mädchen hatte sie davon geträumt. “Wenn ich groß bin, will ich nach Indien, China, Rußland. Ich will barfuß im Ganges waten, meine Hand auf die Chinesische Mauer legen, die Glocken auf dem Roten Platz läuten hören.” Sie hatte ihr Jurastudium mit glänzendem Erfolg abgeschlossen. “Bevor ich mir einen Job suche, mache ich meinen Traum wahr”, hatte sie Hubert und Gaby nach dem letzten Examen mitgeteilt. “Die feierliche Überreichung der Bulle und das ganze Brimborium kann mir gestohlen bleiben. Ich will leben.”
Gaby fragte sie nicht, warum sie glaubte, in den fremden Ländern intensiver leben zu können als zu Hause. Sie verstand ihr Fernweh und wäre am liebsten mit ihr mitgereist. Einfach alles hinter sich zu lassen. Jeder Tag eine neue Herausforderung. Vielleicht war das wirklich leben? Aber natürlich konnte sie nicht mit. Sie hatte tausendundeine Verpflichtung, und Hubert mußte am Herzen operiert werden. Das schrieb sie Natalie in ihrem Brief nach Katmandu. “Mach dir keine Sorgen, mein liebes Mädchen”, schrieb sie, “es wird schon alles gut werden. Ich werde nicht von seiner Seite weichen, ich werde nicht zulassen, daß er mich verläßt. Du hättest doch nichts tun können. Genieße diese einmalige Reise. Natürlich halte ich dich auf dem laufenden. Nach der Operation schicke ich dir ein Telegramm.” Und dann fügte sie noch ein Postscriptum hinzu: “Geht es gut mit dir und Klaas?” Klaas war Natalies Reisekamerad. Sie hatten ihn vor der Reise kennengelernt. “Ein Kamerad, mehr nicht”, beharrte Natalie. “Er hat Wirtschaftsrecht studiert und will sich demnächst selbständig machen. Auch er will frei und ungebunden bleiben.” Aber Gaby sah Klaas’ Augen aufleuchten, wenn Natalie ins Zimmer kam, sah, wie er an ihren Lippen hing, wenn sie von ihrem letzten Urlaub in Griechenland berichtete. “Nichts ist vollkommener als allein einen Sonnenuntergang am Kap Soúnion zu erleben, da stirbt man einen kleinen Tod.” War das ihre nüchterne Tochter, die so farbenprächtig erzählen konnte, deren Augen leuchteten und die weich und anschmiegsam ihre Krallen eingezogen hatte? Vielleicht wird doch noch alles gut, hatte Gaby gedacht. Wenn sie sich wirklich verliebt, wird vielleicht noch alles gut für sie. Hubert hatte das ja immer gesagt. “Da muß nur der richtige Mann kommen, und ihre anderen Flausen verschwinden wie Butter unter der Sonne.”
Waren das nur die Flausen einer Heranwachsenden gewesen? Gaby hatte ihre Tochter leiden gesehen, wenn ihre Freundin Birgit sie nicht anrief, sie hatte ihre Freßanfälle mitgemacht, weil dieselbe Birgit es sich im letzten Moment anders überlegt hatte und nicht mit ihr nach Arnheim gekommen war. “Ich brauche sie nicht, ich komme auch allein klar. Wenn sie lieber zu Rina geht. Bitte, ihre Sache.” Automatisch hatte sie ein Stück Käse nach dem anderen in den Mund gesteckt, mehr und mehr, ohne nachzudenken. “Wenn sie meint, ich bin auf sie angewiesen! Falsch. Ich bin auf niemanden angewiesen. Auf Birgit schon gar nicht.” Was sprach da aus Natalie? Nur
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