Zuckerpüppchen - Was danach geschah
gekränkte Eitelkeit, die enttäuschte Freundin oder war das eine zur Seite geschobene Geliebte? Und dann platzte sie ganz und gar undiplomatisch heraus: “Du hängst so sehr an Birgit, ich meine, sie bedeutet dir sehr viel? Bist du vielleicht lesbisch?” Das Wort war ausgesprochen. Jahrelang hatte sie es geglaubt, durch nichts bewiesen, nur eine Vermutung. Lesbisch. Natalie hatte den Rest Käse in ihren Mund gestopft. Jetzt weinte sie beinahe, sie würgte an dem Käse. “Sie ist eine Freundin. Mehr nicht. Ich weiß nicht, was du denkst. Man wird doch noch eine Freundin haben dürfen?” Und jetzt war sie mit Klaas auf dieser Reise. Sie würden viele Dinge zusammen erleben, einander helfen, sich viel besser kennenlernen. Vielleicht würde Natalie lernen, diesem sympathischen jungen Mann zu vertrauen. Sie spürte Natalies Ablehnung gegenüber Männern. Vielleicht waren es ihre frühen Erfahrungen mit ihrem leiblichen Vater? Aber sie hatte ihre Tochter doch beschützt? Sie hatte sich dazwischengeworfen, damit er das Kind nicht schlagen konnte. Und Hubert war immer gut zu Natalie gewesen. Sie hatte selbst gesagt, daß sie mit ihm besser reden konnte. Warum war sie so voller Aggressionen gegenüber Männern? Sie wußte nicht, wie Männer sein konnten. Oder doch? Übertrug sie als Mutter automatisch ihre Ängste auf ihre Tochter? Gaby hatte ihr nichts von ihrer eigenen Jugend erzählt. Auch hatte sie versucht, sie nicht zu ängstlich zu machen. Wenn Natalie per Anhalter von Arnheim nach Leiden fuhr, hielt sie ihr Herz fest, aber sie verbot es ihr nicht. Weil sie wußte, daß sie ihrer Tochter nichts verbieten konnte. “Aber schau dir die Typen an”, bat sie sie. “Versuche hinter das freundliche Lächeln zu sehen.” — “Siehst du jemals dahinter?” hatte Natalie seltsamerweise geantwortet und sie spontan und ungeschickt umarmt und gleich wieder von sich geschoben. “Keine Angst, ich paß schon auf mich auf.” Wenn sie zurückkommt, nach dieser Reise, nahm Gaby sich vor, werde ich mit ihr reden. Über meine Ängste, über Ursel und vielleicht auch über Pappi. Sie strich zärtlich über den Brief nach Katmandu. Jetzt waren andere Dinge zu erledigen.
Auch jetzt, kurz vor der Herzoperation, hielt Hubert alle Fäden fest in der Hand. Vielleicht sogar noch mehr als sonst. Gaby hatte das Gefühl, keinen Schritt mehr ohne seine Zustimmung gehen zu können. “Du willst während der Operation und die Tage danach bei mir im Krankenhaus sein? Gut. Dann ziehst du in ein Hotel beim Krankenhaus. Die Kinder können vielleicht zu meiner Mutter nach Heidelberg.” Gaby hätte ihre Kinder gerne zumindest abends um sich gehabt, aber sie sagte nichts. Vielleicht war es besser, wenn sie von der Operation und den Spannungen sowenig wie möglich mitbekamen. Doch seine Mutter wehrte mit feuchten Augen Huberts Bitte ab. “Ich werde in dieser für eine Mutter so schweren Zeit selbst Hilfe nötig haben. Ich denke daran, bei Cornelia zu bleiben. Vielleicht können die Kinder auch zu Cornelia?” Cornelia war mit ihrem Mann von Heidelberg nach Bayern umgezogen, hatte dort ein großes Haus, Personal. “Gerne”, sagte Cornelia. “Wir räumen den Hobbyraum auf, und eure Buben können dort schlafen.” — “Das ist ja dann geregelt”, sagte Hubert, und Gaby hätte es nicht gewundert, wenn er auf seinen Notizen hinter ‘Kinder unterbringen’ einen Haken gesetzt hätte. Kinder unterbringen war erledigt. “Jetzt zu dir”, sagte er zu Gaby. “Hast du daran gedacht, wer bei dir ist, wenn ich operiert werde?” Nein, Gaby hatte noch nicht daran gedacht. Allein der Gedanke, daß sie ihn vom Hals bis hinunter zu den Rippen aufschneiden, direkt an seinem Herzen herumfuhrwerken und seinen Körper nur mittels einer Herz-Lungenapparatur für Stunden am Leben erhalten würden, ließ ihr das Blut in ihren eigenen Adern erstarren. Wenn sie doch mit ihm darüber hätte reden können! Zusammen hatten sie den technischen Ausführungen des Chirurgen zugehört. Ja, sie hatten alles begriffen, keine weiteren Fragen. Aber es ging doch nicht nur um die Technik, warum sprach er nie über seine Ängste? Er mußte doch Ängste haben? Warum gestand er sich nicht selbst zu, schwach zu sein? Oder wollte er nur bei ihr nicht schwach sein? Verlor er dann sein Gesicht? Mußte er immer und in jeder Situation der große, starke, selbstsichere Hubert sein? Wie gerne hätte sie endlich einmal etwas von ihrer eigenen Kraft gezeigt! Wenn Gaby mit ihren
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