Zügel der Leidenschaft
faltete er sorgfältig die Hände auf der Tischplatte und starrte die Männer mit zurückhaltender Freundlichkeit an. »Ich erwarte morgen um die gleiche Zeit Ihren ersten Bericht.«
Schock zeigte sich auf den Mienen der sechs Anwälte von höchstem Rang.
»Und wenn Sie das nicht schaffen können«, fügte Chambers milde hinzu, »dann kenne ich noch ein paar weitere Herren, die gern Ihr Einkommen an den Bonus einstreichen würden.« Damit stand er auf und deutete an, daß die Konferenz beendet war.
Als Kit von Chambers zurückkam, war es schon Spätnachmittag, aber Angela war noch nicht aufgetaucht.
»Maman und Lady Lanley sind vermutlich in ein langes Gespräch über all die Neuigkeiten in der Stadt vertieft«, meinte Fitz, als Kit sich Sorgen machte. »Die beiden können stundenlang miteinander reden.« Kit hoffte, daß er Recht behielt, aber er hätte kaum angenommen, daß Angela so lange bei Violet bleiben würde. »Dann werde ich sie dort fortlocken«, sagte er beiläufig, denn er wollte Fitz nicht beunruhigen, obwohl bei ihm die Warnlampen schon blinkten.
Violet hatte Angela noch gar nicht gesehen, erfuhr er, und sie flüsterte, sofort voller Sorge und Angst: »Ich hoffe, er hat ihr nichts angetan!«
»Gütiger Gott! Ist er hier gewesen?«
»Nein, aber Angela auch nicht. Denn wenn sie May abholen wollte, wäre sie längst dagewesen. Ich komme mit Ihnen nach Lawton House. Lassen wir May und die Kinderfrauen noch in Ruhe. Können Sie warten, May zu sehen, bis wir ...?« Aber sie brach ab, weil Kit sie schon beim Arm genommen und aus dem Raum gezogen hatte.
Die Nachrichten, die sie in Lawton House erwarteten, waren noch beunruhigender. Angela war bis zum frühen nachmittag dort gewesen und vor Stunden schon aufgebrochen. Weder die Kutsche noch der Fahrer waren zurückgekehrt. »Die Gräfin war unterwegs zu Lady Lanley«, sagte Childers mit ernster Miene.
»Hat Sie Ihnen von dem Besuch des Grafen zu später Stunde vor ihrer Abreise zur Desirée berichtet?«
Das hatte sie nicht.
»Sie hatte mir einen Brief gegeben, den ich am folgenden Morgen zu ihrer Bank bringen sollte, Sir. Was, wenn ich das sagen darf, gewöhnlich bedeutet, daß sie Lord Greville Geld überweist.«
»Wann ist sie hier losgefahren?« fragte Kit scharf.
»Etwa um zwei Uhr, Sir.«
Das war über vier Stunden her – eine sehr lange Zeit, wenn sie in Gefahr schwebte, dachte Kit nervös. »Könnte jemand Lady Lanley nach Hause bringen?« fragte er. »Violet, wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich Sie hier verlassen«, fügte er hinzu. »Geben Sie mir die Adresse des Grafen und seiner Familie. Ich muß ein paar Besuche machen.«
Die Wohnung des Grafen in Mayfair war verlassen, wie Kit rasch feststellte: Kein Licht, keine Diener, kein Zeichen, daß sich irgend jemand dort aufhielt. Der Türsteher erklärte, daß Lord de Grae seit dem Morgen nicht mehr in seiner Wohnung weilte und die Diener in Urlaub geschickt habe: Höchst unangenehme Nachrichten in Verbindung mit Angelas Verschwinden.
Kits nächste Station war Greville House, wo man ihn in der Eingangshalle warten ließ. Dann kam der Butler mit einer kühlen Abfuhr. Lady Greville sei für Mr. Braddock nicht zu sprechen.
Da sie sich offensichtlich im Haus befand, weil der Butler sonst keinen derartigen Befehl erhalten hätte, schlug Kit den erstaunten Mann zu Boden und rannte die Treppe hinauf. Oben riß er nacheinander alle Türen auf dem Hauptgang auf und gelangte schließlich in den Ost-Salon, in dem Brooks Schwestern vor einem überfüllten Eßtisch saßen.
Gwendolyn blickte ungehalten über die stürmische Unterbrechung hoch und rief gereizt: »Wie können Sie es wagen!«
»Wo ist Ihr Bruder?« fragte Kit kurz angebunden. »Entweder geben Sie mir sofort seinen Aufenthaltsort, oder Sie haben in zehn Minuten Scotland Yard und sämtliche Polizisten der Gegend vor der Tür stehen.«
»Rowland!« schrie Gwendolyn.
»Geben Sie sich keine Mühe, der liegt in der Eingangshalle. Beantworten Sie meine Frage.«
»Und warum sollte ich das tun, Mr. Braddock«, erwiderte sie zornig und blickte an ihrer langen Nase entlang auf den Mann, der genau der Beschreibung des neuesten Liebhabers ihrer Schwägerin entsprach.
»Sagen wir, weil es angenehmer für Sie wäre.«
»Ist das etwa eine Drohung?« explodierte Beatrice.
»Ja, genau das ist es, und ich bin in verfluchter Eile. Ich brauche den Aufenthaltsort Ihres Bruders.« Seine Stimme wurde nun sehr leise. »Und ich brauche diese
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