Zügel der Leidenschaft
Information noch in dieser Sekunde.«
»Seien Sie doch nicht albern«, bellte Gwendolyn. »Wir wissen doch, wer Sie sind. Mein Bruder will nichts mit Ihnen zu tun haben.«
»Schauen Sie«, sagte er immer ungehaltener werdend. Wenn er sie doch körperlich bedrohen und sich durchsetzen könnte. »Ich habe wirklich nicht die Zeit, zu warten, bis die Polizei herkommt. Wenn Ihnen an dem ziemlich häßlichen Poussin da etwas liegt ...«, fuhr er fort und klappte dabei ein kleines goldenes Taschenmesser auf, das an seiner Uhrkette hing, »dann sagen Sie mir lieber, wo ich Ihren Bruder finden kann.«
»Sie sind ja wahnsinnig!« schrie Gwendolyn und starrte ihm nach, als er auf das große Gemälde zuschritt.
»Nicht so wie Ihr Bruder, aber in diesem Moment bestimmt ebenso gefährlich. Ich habe die Absicht, seinen Aufenthaltsort herauszufinden. Warum fange ich nicht mit dieser Ecke an?« meinte Kit und deutete auf die Gestalt eines Schäfers in der bukolischen Landschaft. Dann richtete er kühl und abschätzend die Klinge darauf.
»Er ist in Wickem House«, erklärte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Kit fuhr herum und sah eine ältere Dame im Türrahmen. Sie war klein, schlank und noch in Haube und Umhang. Ihr Blick war sehr streng. »Ich komme gerade von einem eiligen Treffen mit unseren Treuhändern. Man hat ihnen mitgeteilt, daß Ihr Mr. Chambers morgen früh eine Antwort erwartet. Sie sind sehr großzügig.«
»Er hat Angela entführt. Haben Sie davon gewußt?«
Die alte Gräfin de Grae wirkte bei dieser Nachricht bestürzt, und ihre Stimme zitterte vor Erschütterung. »Ich hatte so etwas befürchtet. Bitte beeilen Sie sich.«
Kit steckte sein Messer fort und trat auf sie zu. »Wie weit ist Wickem entfernt?« fragte er. Und als sie ihm die Beschreibung gab, sank ihm das Herz. Es war unmöglich, das Haus in weniger als drei Stunden zu erreichen. Er konnte sich nicht einmal dazu durchringen, danke zu sagen, obwohl ihre Informationen unschätzbar waren. In dem Augenblick wünschte er alle Grevilles in die finstersten Regionen der Hölle.
Er schob sich an ihr vorbei und rannte los.
Unterwegs zu dem Landsitz hielt Kit kurz bei Chambers an, um dessen bestes Pferd und Waffen auszuleihen. Nach wenigen Minuten saß er zu Pferde und unterrichtete den Bankier rasch in kurzen, knappen Sätzen von seinen Plänen, während die Stallburschen drei weitere Pferde sattelten und an einem Leitzügel miteinander verbanden. »Ich möchte, daß Fitz benachrichtigt wird – nichts Beunruhigendes, nur, daß Angela und ich aufgehalten wurden und morgen früh wieder da sind. Schicken Sie einem Ihrer einflußreichen Freunde in Scotland Yard eine Nachricht, daß sie sich mit der Polizei in Wickem verständigen. Die Gräfin muß aus dem Haus gerettet werden – machen Sie das ganz klar. Sie soll in ihrer Obhut bleiben, bis ich komme. Erwähnen Sie gegenüber der Polizei keine Namen, außer Grevilles, falls ...«
Chambers nickte und verstand den Satz, ohne daß er beendet wurde.
»Ich werde morgen früh mit der Gräfin zurücksein«, sagte Kit mit einem Blick auf den Burschen, der die letzten Riemen festband. Als der Mann beiseite trat, riß Kit die Zügelhand scharf an. Das Tier sprang vor, Kit zerrte an dem Leitzügel, und Chambers beste Rennpferde rannten aus dem Stallhof hinaus.
28
Am frühen Abend vernahm Angela ein deutliches Geräusch von Fahrrädern, die die Auffahrt entlang aufs Haus zufuhren. Sie trat rasch zum Seitenfenster und hielt nach den Ankömmlingen Ausschau. Aber die Räder hielten kurz außerhalb ihrer Sichtweite an.
Diese Ankunft löste bei den Bewohnern von Wickem House eine sofortige Reaktion aus. Innerhalb weniger Augenblicke hörte sie rasche Schritte auf der Treppe und dann, wie jemand sich schnell den Gang entlang auf ihr Zimmer zubewegte.
Sie erkannte die schweren Schritte von Brooks Leuten und wartete angstvoll ab. Die Männer stürmten in offensichtlicher Eile ins Zimmer und traten auf sie zu, während sie wild und mit so klopfendem Herzen, daß es ihr in den Ohren hämmerte, nach einem Fluchtweg Ausschau hielt.
Sie versuchte, wegzurennen, als die beiden auf sie zusprangen, aber sie trieben sie zwischen der Wand und dem Kleiderschrank in die Enge und preßten ihr eine Hand über den Mund, ehe sie sie hochhoben. Sie trat um sich und versuchte, durch die Finger hindurch zu schreien, aber sie hielten sie in eisernem Griff, knebelten sie, banden sie an Händen und Füßen und legten sie aufs Bett. Dort
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