Zuflucht Im Kloster
Trübsal blasen zu sehen. Seit zwei Tagen hängst du herum wie eine kranke Katze, und ich weiß auch warum: Dieser schäbige kleine Dieb geht dir nicht aus dem Kopf! Ich weiß doch genau, daß er dich mit seinen schönen Worten und seinem Getue eingewickelt hat – ich habe dich beobachtet. Bist du denn wirklich so dumm, daß du einem solchen Schurken auch nur eine Träne nachweinst?«
Sie war nicht wütend; sie war nie wütend. Sie klang ungeduldig, sogar verärgert, aber sie war immer noch von einer kühlen Freundlichkeit, und ihre Stimme war beherrscht und gleichmütig wie immer. Rannilt schluckte ihre Tränen hinunter, wischte sich über die Augen und begann, sich mit ihren Töpfen und Pfannen zu beschäftigen. Hektisch sah sie sich nach irgend etwas um, das die Aufmerksamkeit von ihr ablenken könnte. »Es ist einfach so über mich gekommen, aber jetzt ist es schon vorbei. Oh, Eure Schuhe und Euer Rocksaum sind naß geworden«, rief sie, dankbar, eine Möglichkeit gefunden zu haben, das Thema zu wechseln. »Ihr solltet Euch gleich andere Schuhe anziehen.«
Susanna zuckte gleichmütig die Schultern. »Mach dir um meine Füße keine Sorgen. Der Fluß steht ein wenig hoch – ich habe es erst bemerkt, als ich ein Hemd auf einen Busch legen wollte und zu nah ans Wasser ging. Aber was ist mit deinen nassen Augen? Das ist jetzt viel wichtiger. Wirf dich doch nicht weg, du dummes Ding! Er ist nichts weiter als ein gewöhnlicher Räuber, der schon viele kleinere Verbrechen begangen hat und am Galgen das bekommen wird, was er verdient. Nimm doch Vernunft an, und denk nicht mehr an ihn.«
»Er ist kein Räuber«, widersprach Rannilt ihr mit dem Mut der Verzweiflung. »Ich weiß, daß er nichts Unrechtes getan hat. Ich kenne ihn – er wäre gar nicht dazu fähig. Er kann gar nicht gewalttätig sein. Und ich mache mir Sorgen um ihn, ich kann nicht anders.«
»Das sehe ich«, sagte Susanna resigniert. »So geht das nun schon, seit man weiß, daß er der Täter war. Ich bin es einfach leid, mich mit ihm zu beschäftigen – und mit dir auch! Ich will, daß du endlich wieder zur Besinnung kommst. Gott im Himmel, muß ich denn diesen ganzen Haushalt allein führen, ohne das bißchen Hilfe, das ich von dir bekomme?« Sie biß sich gedankenvoll auf ihre Unterlippe und fragte plötzlich: »Würde es etwas nützen, wenn ich dich gehen lassen würde, damit du dich selbst davon überzeugen kannst, daß dieser Gaukler gesund und munter ist und daß ihm – Gott sei’s geklagt! – das Gesetz im Augenblick nichts anhaben kann? Wahrscheinlich wird es ihm sogar irgendwie gelingen, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen!«
Es war, als habe sie Zauberworte gesprochen. Rannilts Tränen waren von einem Augenblick auf den anderen versiegt.
Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Ich soll ihn sehen können? Ihr meint, ich dürfte hingehen?«
»Du hast doch Beine, oder nicht?« sagte Susanna spitz. »Es ist ja nicht weit, und die Tore des Klosters sind für jeden geöffnet. Vielleicht nimmst du Vernunft an, wenn du siehst, wie gleichgültig du ihm bist, während du dumme Gans hier sitzt und Tränen um ihn weinst. Geh nur und sieh selbst, was für ein Mensch er ist! Vielleicht bist du dann wieder zu etwas zu gebrauchen. Ja, geh nur! Geh zu ihm und bring es hinter dich!
Ich werde heute auch ohne dich zurechtkommen. Daniels junge Frau kann sich ja nützlich machen. Das wird eine gute Übung für sie sein.«
»Ihr meint es wirklich ernst?« flüsterte Rannilt, überwältigt von so viel Großmut. »Ich darf gehen? Aber wer soll dann die Suppe und das Fleisch kochen?«
»Ich natürlich. Das habe ich ja weiß Gott schon oft genug getan! Ich sage dir doch: Geh, und zwar schnell, bevor ich es mir anders überlege! Du kannst den ganzen Tag dort bleiben, wenn du nur danach wieder zu etwas zu gebrauchen bist. Für dieses eine Mal werde ich auch ohne dich auskommen. Aber wasch dir das Gesicht und kämm dir die Haare, damit man von dir und uns nicht schlecht denkt. Wenn du willst, kannst du ein paar Haferkuchen und die Reste von gestern mitnehmen. Wenn er meinen Vater niedergeschlagen hat«, sagte Susanna schroff, während sie in dem Topf mit der leise vor sich hin brodelnden Suppe rührte, »dann erwartet ihn ein schlimmes Schicksal. Es ist gar nicht nötig, ihm einen ordentlichen Bissen zu mißgönnen, solange er noch am Leben ist.« Sie warf Rannilt, die wie vor den Kopf geschlagen dastand, einen Blick über ihre Schulter zu. »Geh nur zu
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