Zuflucht Im Kloster
deinem Spielmann! Ich meine es ernst: Du hast für heute frei. Ich bezweifle allerdings, daß er sich überhaupt an dich erinnert. Geh zu ihm und sieh selbst, in was du dich da verrannt hast!«
Rannilt konnte ihr Glück noch gar nicht fassen. Sie wusch sich ihr Gesicht und fuhr sich mit zitternden Fingern durch das lange, schwarze Haar, nahm einen Korb, in den sie die Reste legte, die Susanna ihr wortlos hinstellte, und ging wie ein schlafwandelndes Kind durch die Wohnhalle zur Tür, die auf den Hof führte. Zufällig kam Margery gerade mit einem Stapel abgelegter Kleider auf dem Arm die Treppe herunter. Als sie das schmächtige Mädchen, das in diesem Haus genauso fremd und einsam war wie sie selbst durch die Halle huschen sah, rief sie freundlich: »Wohin schickt man dich denn so eilig, mein Kind?«
Gehorsam blieb Rannilt stehen und sah auf in Margerys rundes, frisches Gesicht. »Frau Susanna hat mir erlaubt, zum Kloster zu gehen und Liliwin diese Reste zu bringen.« Dieser Name, der ihr so viel bedeutete, sagte Margery nichts. »Dem Sänger, der Meister Walter niedergeschlagen haben soll. Aber ich bin ganz sicher, daß er es nicht war! Sie hat gesagt, ich dürfte hingehen und selber sehen, wie es ihm geht – weil ich geweint habe…«
»Ja, jetzt erinnere ich mich«, sagte Margery. »Ein schmächtiger Mann, und noch recht jung. Alle sagen, er sei der Täter. Und du bist sicher, daß er es nicht war?« Ihre blauen Augen sahen Rannilt ernst an. Sie zog zwei Kleidungsstücke aus dem Stapel auf ihrem Arm, und um ihren Mund spielte ein leises Lächeln. »Wenn ich mich recht erinnere, ließ seine Kleidung zu wünschen übrig. Hier sind ein Wams und ein Umhang, die vor Jahren meinem Mann gehört haben. Ich glaube, sie könnten deinem Sänger passen. Nimm sie nur mit.
Es wäre Verschwendung, sie wegzuwerfen. Und Mildtätigkeit, auch gegenüber Sündern, wird im Himmel gnädig vermerkt.«
Mit ernstem Gesicht reichte sie Rannilt ein gutes dunkelblaues Wams, das kaum geflickt war, und einen sorgfältig ausgebesserten rotbraunen Umhang mit Kapuze.
»Hier – Daniel wird diese Sachen ohnehin nicht mehr tragen.«
Sie empfand Genugtuung darüber, diesem armen Wicht, den jedes Mitglied ihrer neuen Familie für einen Verbrecher hielt, etwas Gutes zu tun. Dies war die Geste, mit der sie ihre Unabhängigkeit bewies.
Rannilt, die aus dem Staunen gar nicht mehr herauskam, nahm die Gaben und legte sie in ihren Korb, machte stumm einen Knicks und war zur Tür hinaus, bevor diese noch nie dagewesene, geradezu unglaubliche Großzügigkeit ein Ende fand und sich Ausgang, Essen und Kleidung in Luft auflösten.
Susanna kochte, richtete das Essen an, wusch das Geschirr ab und waltete und schaltete mit einem fast grimmigen Lächeln auf den Lippen in ihrem Reich. Sie führte diesen Haushalt auf diskrete Weise großzügiger, als Frau Juliana es je getan hatte, und heute hatte es so viel zu essen gegeben, daß sogar noch etwas übrig geblieben war, und dabei hatte sie bereits Iestyn seine Portion in die Werkstatt gebracht und sich zu ihm an den Tisch gesetzt, um ihm Gesellschaft zu leisten und den Teller wieder in die Küche mitzunehmen, wenn er aufgegessen hatte.
Obwohl das, was übrig war, für eine Person reichen würde, lohnte es nicht, es noch einen Tag aufzuheben. Sie schnitt die Reste des gekochten Pökelfleisches hinein und trug den Teller über den Hof zur Werkstatt des Schlossers, wie sie es schon einige Male getan hatte, wenn zuviel gekocht worden war.
John Boneth saß an der Werkbank und blickte auf, als sie eintrat. Sie sah sich um und stellte fest, daß alles in guter Ordnung war. Von Baldwin Peche aber fehlte ebenso jede Spur wie von Griff in, der vermutlich auf einen Botengang geschickt worden war.
»Wir haben etwas Essen übrig, und ich weiß, daß Euer Meister kein großer Koch ist. Ich habe ihm etwas gebracht, falls er nicht schon gegessen hat.«
John war höflich aufgestanden und lächelte sie respektvoll an. Sie kannten sich nun schon seit fünf Jahren, hatten aber immer eine diskrete Distanz gewahrt. Die Tochter des Hauswirts, des reichen Goldschmiedemeisters, war nichts für einen einfachen Schlossergesellen.
»Das ist sehr freundlich von Euch, aber der Meister ist nicht da. Seit heute morgen habe ich ihn nicht gesehen. Bevor er ging, hat er mir noch aufgetragen, ein paar Schlüssel zu schneiden. Ich schätze, er wird erst gegen Abend wieder zurück sein. Wenn ich mich nicht irre, sagte er, er wolle fischen
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