Zuflucht Im Kloster
gehen.«
Daran war nichts Seltsames. Baldwin Peche verließ sich darauf, daß sein Geselle sich ebensogut um das Geschäft kümmerte, wie er selbst es hätte tun können, und nahm sich frei, wann immer er Lust dazu verspürte. Vielleicht klapperte er gerade die Wirtschaften ab und versuchte, neuen Klatsch in Erfahrung zu bringen, oder er war am Schießstand unten am Fluß und wettete auf einen besonders guten Bogenschützen, oder er saß in seinem Boot, das nur ein paar Minuten flußabwärts in der Nähe der Schleuse festgemacht war. Der Zug der Lachse konnte jeden Tag einsetzen, und das konnte einen leidenschaftlichen Angler gewiß reizen, sein Glück zu versuchen.
»Und Ihr wißt nicht genau, wann er zurück sein wird?«
Susanna las die Antwort in Boneths Gesicht, zuckte die Schultern und lächelte. »Ja, ich weiß! Nun, wenn er nicht da ist… Ich nehme an, Ihr habt noch etwas Platz hierfür.«
Gewöhnlich brachte er sich ein Stück Brot und einen Streifen Speck oder ein Stück Käse mit – Fleisch gab es im Haus seiner Mutter nur an Festtagen. Susanna stellte den Teller vor ihn auf die Werkbank, setzte sich ihm gegenüber auf den für Kunden reservierten Stuhl und stützte sich mit den Ellbogen auf. »Sein Pech. In einer Wirtschaft wird er mehr bezahlen müssen und weniger bekommen. Ich setze mich ein wenig zu Euch – dann kann ich nachher den Teller wieder mitnehmen.«
Rannilt trat durch das dunkle Stadttor in das helle Sonnenlicht auf der Brücke. Aus Angst, zurückgerufen zu werden, hatte sie es eilig gehabt, das Haus zu verlassen, aber auf dem Weg durch die Stadt hatte sie sich Zeit gelassen, denn sie fürchtete sich vor dem, was vor ihr lag. Und das war ja auch zum Fürchten für eine, die keine Schule besucht und bisher kaum Erfahrungen gemacht hatte, die in Wales verachtet und in England nur als Arbeitskraft geduldet wurde. Sie wußte nichts von Mönchen und Klöstern und nicht einmal viel vom Christentum. Aber dort im Kloster war Liliwin, und deshalb zog es sie dorthin. Die Tore des Klosters, hatte Susanna gesagt, waren niemandem verschlossen.
Auf der anderen Seite der Brücke kam sie an dem kleinen Gehölz vorbei, in dem Liliwin sich schlafen gelegt hatte, bevor man ihn um Mitternacht aufgestöbert hatte. Jenseits der Landstraße lagen der Mühlteich und die Häuser, die zur Pfründe des Klosters gehörten, und dahinter ragten die Dächer der Krankenstation, der Schule und des Gästehauses über die Klostermauer, die sich an das wuchtige Torhaus anschloß. Das große Westportal der Kirche, das außerhalb der Mauern lag, bog einen ehrfurchtgebietenden Anblick. Aber als Rannilt den großen Innenhof betreten hatte, schöpfte sie Mut. Selbst zu dieser Stunde, die vielleicht die beschaulichste des ganzen Tages war, herrschte hier ein reges Kommen und Gehen: Gäste kamen an oder reisten ab, Knechte und Mägde eilten hin und her, Bittsteller reichten Gesuche ein, Hausierer machten Rast, bevor sie wieder weiterzogen – es war ein buntes Treiben, und viele der Menschen, die sie sah, waren ebenso niederer Herkunft wie sie selbst. Sie konnte sich unter ihnen bewegen, ohne daß irgend jemand sie beachtete. Aber sie mußte Liliwin finden, und darum sah sie sich nach einem Menschen um, der einen hilfsbereiten Eindruck machte und den sie fragen konnte.
Ihre Wahl fiel auf den falschen Mann, einen unscheinbaren Mönch, der über den Innenhof eilte; an ihn wandte sie sich, weil er klein und schmächtig war wie Liliwin und weil seine hängenden Schultern sie an Liliwin erinnerten und weil jemand, der so bescheiden und unscheinbar wirkte, gewiß Mitleid hatte mit anderen, die ebenso unbedeutend waren wie er selbst.
Bruder Jerome wäre zutiefst beleidigt gewesen, wenn er ihre Gedanken hätte lesen können. Da er diese Fähigkeit jedoch nicht besaß, war er recht angetan von der tiefen Verbeugung, die dieses Dienstmädchen vor ihm machte und von dem scheuen Flüstern, mit dem sie ihn ansprach.
»Entschuldigt bitte, hoher Herr… Meine Herrin schickt mich mit milden Gaben für den jungen Mann, der hier Asyl gefunden hat. Könnt Ihr mir sagen, wo ich ihn finden kann?«
Sie hatte Liliwins Namen nicht genannt, weil dieses Wissen etwas war, das sie und ihn verband und darum eifersüchtig gehütet werden mußte. Jerome war durch Rannilts Bitte entwaffnet, obschon es ihm mißfiel, daß eine angesehene Bürgerin in ihrem irregeleiteten Mitgefühl diesem Verbrecher milde Gaben überbringen ließ. Ein Dienstmädchen, das
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