Zuflucht Im Kloster
bist. Sie werden es merken, sie werden es noch zugeben müssen.«
Gemeinsam erzitterten sie und hielten sich verzweifelt an den Händen, und die Berührung erfüllte ihre unschuldigen Körper mit einer Erregung, die sie nicht begriffen.
»Ach, Rannilt, wenn du wüßtest! Das Schlimmste für mich war der Gedanke, du könntest dich von mir abwenden und mich für einen Verbrecher halten… Sie glauben das, sie alle, nur du…«
»Nein«, sagte sie entschlossen, »da bin ich nicht so sicher.
Der Bruder, der sich um Frau Juliana kümmert und dir deine Sachen gebracht hat… und der gütige Bruder, der dich Musik lehrt… nein, du bist nicht verlassen. Das darfst du nicht denken!«
»Du hast recht«, gab er voller Dankbarkeit zu. »Und solange du zu mir hältst, gebe ich die Hoffnung nicht auf…« Er wunderte sich, daß ihr in einem Haushalt, der ihm doch feindlichgesonnen sein mußte, jemand die Erlaubnis gegeben hatte, ihn zu besuchen. »Das war sehr freundlich von deiner Herrin! Ich stehe in ihrer Schuld.«
Nicht für die Gaben, die sie ihm geschickt hatte und die für sie bloß Speisereste, für ihn aber Delikatessen waren, sondern für die Nähe dieses Mädchens, das seine Sinne bezauberte und ihn mit einer fiebrigen Wärme und Unruhe erfüllte, die er nie zuvor kennengelernt hatte. Dies konnte nur Liebe sein – die Liebe, die er jahrelang besungen hatte, ohne daß sein Körper und sein Geist wußten, was das war.
Bruder Jerome hatte, in treuer Erfüllung dessen, was er für seine Pflicht hielt, auf die Zeit geachtet und kam unaufhaltsam über den großen Innenhof auf sie zu. Seine Sandalen machten kein Geräusch auf den Steinen, und als er näher kam, sah er, daß die beiden jungen Leute sich mit den Schultern aneinander lehnten und ihre beiden Köpfe, der blonde und der schwarze, sich fast berührten. Offenbar war es höchste Zeit, sie zu trennen – dies war nicht der rechte Ort für solche Vertraulichkeiten.
»Es wird alles gut werden«, flüsterte Rannilt. »Du wirst sehen! Frau Susanna sagt, was alle sagen, und doch hat sie mich zu dir geschickt. Ich glaube, daß sie nicht wirklich überzeugt ist… Sie hat mir den ganzen Tag frei gegeben…«
»Ach, Rannilt… Ach, Rannilt, ich liebe dich so…«
»Du hast nun Zeit genug gehabt, den Auftrag deiner Herrin auszuführen«, sagte Bruder Jerome zu Rannilt, »und kannst nicht länger bleiben. Nimm deinen Korb und geh.«
Der Schatten, der hinter ihnen die schrägen Strahlen der Nachmittagssonne verdunkelte, war nicht größer als der Liliwins, und doch war die Finsternis, die er verbreitete, für sie kaum zu ertragen. Sie hatten sich gerade erst bei den Händen gefaßt, waren sich kaum der Möglichkeiten bewußt geworden, die ihre jungen Körper boten, und mußten doch schon wieder voneinander scheiden. Dieser Mönch besaß Autorität – er sprach stellvertretend für das Kloster und würde keinen Widerspruch dulden. Man hatte Liliwin eine Freistatt gewährt, und den Einschränkungen, die man ihm auferlegte, hatte er sich zu fügen.
Zitternd erhoben sie sich. Ihre Hand preßte die seine, und ihre Berührung erfüllte ihn mit einer Glut, die angefacht wurde durch seine Verzweiflung und seinen Zorn.
»Sie wird gleich gehen«, sagte Liliwin. »Laßt uns nur noch einige Minuten, damit wir gemeinsam in der Kirche beten können.«
Diese Bitte erschien Bruder Jerome angemessen. Er war geradezu entwaffnet und trat zurück, als Liliwin, den Korb in seiner freien Hand, Rannilt mit sich in die Kirche zog. Stille und gedämpftes Licht umfingen sie. Bruder Jerome hatte ihr Bedürfnis, allein zu sein, respektiert und war draußen geblieben, würde jedoch in der Nähe bleiben, bis einer von ihnen die Kirche wieder verließ.
Und vielleicht würde Liliwin Rannilt nie mehr wieder sehen! Er konnte es nicht ertragen, daß sie ihn so bald schon wieder verlassen sollte, vielleicht für immer – und das, wo sie doch von ihrer Herrin die Erlaubnis erhalten hatte, den ganzen Tag über bei ihm zu bleiben. Er nahm ihren Arm und zog sie in den dunklen Winkel hinter dem Gemeindealtar im Querschiff. Sie sollte nicht so von ihm gehen! Im Augenblick waren sie allein in der Kirche, es war ihnen niemand gefolgt, und Liliwin kannte inzwischen jeden Stein, jeden Winkel in dieser Kirche, denn in der ersten Nacht, die er allein hier zugebracht hatte und in der er aus Angst vor Verfolgung beim leisesten Geräusch immer wieder hochgeschreckt war, hatte er sie gründlich erforscht.
»Geh
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