Zuflucht Im Kloster
anderem als diesen Lumpen gesehen…«
Daniels alter Umhang war ihm etwas zu weit, und als er ihn sich jetzt überwarf, verlieh er ihm das Aussehen eines kräftigen Mannes in mittleren Jahren. Die Kirche war nur von zwei Fackeln spärlich erleuchtet, die in der Nähe des Westportals in Haltern steckten, und der dunkelbraune Umhang ließ Liliwin stämmiger wirken, als er war, während der hohe Kragen einen Teil seines Gesichts verbarg. Die Kapuze würde er erst aufsetzen können, wenn er die Kirche verlassen hatte.
Zitternd klammerte sich Rannilt an seinen Arm und flehte ihn an: »Nein, bitte bleib hier… Ich habe Angst um dich…«
»Hab keine Angst! Wenn wir mit all diesen Leuten hinausgehen, wird uns niemand bemerken.« Und auch wenn die Angst sie im Griff hatte, würden sie noch etwas länger Zusammensein und untergehakt oder Hand in Hand nebeneinander gehen können.
»Aber wie wirst du wieder hineinkommen?« flüsterte sie fast unhörbar.
»Ich werde schon einen Weg finden. Ich werde einfach jemandem folgen, der durch das Tor geht.« Der Gottesdienst war fast vorüber; gleich würden die Mönche in Prozession zur Nachttreppe gehen. »Komm jetzt, wir müssen uns unter die Leute hier mischen…«
Die alten, frommen Frauen aus der Klostersiedlung warteten auf den Knien, bis die Mönche wie große Schatten an ihnen vorbeigezogen waren. Erst dann erhoben sie sich und gingen langsam auf das Westportal zu, und hinter ihnen traten Liliwin und Rannilt unbemerkt aus dem Schatten und folgten ihnen schweigend, als gehörten sie zu ihnen.
Es war geradezu unglaublich einfach. Vor dem Torhaus, von wo aus sie sowohl das Tor als auch das Westportal der Kirche im Auge behalten konnten, hielten ständig zwei Männer des Sheriffs Wache. Sie hatten Fackeln angesteckt, allerdings eher zu ihrer eigenen Bequemlichkeit als um besser nach dem Gesuchten Ausschau halten zu können – schließlich mußten sie die Zeit, in der sie Wache halten mußten, irgendwie herumbringen, und im Dunkeln kann man weder würfeln noch Karten spielen. Mittierweile glaubten sie nicht mehr daran, daß der Beschuldigte den Versuch machen würde, seine sichere Zuflucht zu verlassen, aber sie kannten ihre Pflicht und blieben auf ihrem Posten. Schweigend sahen sie zu, wie die Gläubigen die Kirche verließen, aber da niemand ihnen befohlen hatte, die zu durchsuchen, die hineingingen, achteten sie nicht weiter darauf, wie viele herauskamen, und so fiel es ihnen nicht auf, daß sich die Zahl der Gottesdienstbesucher um zwei vermehrt hatte. Auch trugen die Männer, die zu sehen waren, nicht ausgewaschene, fadenscheinige Kleider wie der Jongleur, sondern gutes Tuch. Und da die Männer des Sheriffs nicht wußten, daß ein junges Mädchen ins Kloster gegangen war, um mit dem Spielmann zu sprechen, schöpften sie keinen Verdacht, als sie das junge Paar auf die Straße treten sahen.
Was sollte schon dabei sein, wenn zwei junge Leute eine alte Frau zur Kirche begleiteten?
Sie waren draußen, sie waren an den Wachen vorbei, der Lichtschein der Fackeln hinter ihnen wurde schwächer, die kühle Dunkelheit hüllte sie ein, und ihre Herzen, die ihnen bis zum Hals geschlagen hatten wie kleine Vögel, die in einem winzigen Raum gefangen sind, beruhigten sich allmählich wieder. Glücklicherweise wohnten zwei der alten Frauen und der junge Mann, der die ältere der beiden stützte, als Rentenempfänger des Klosters in zwei der kleinen Häuser, die bei der Mühle standen, und wandten sich daher der Stadt zu.
So waren Liliwin und Rannilt nicht die einzigen, die diesen Weg nahmen, und erregten keine Aufmerksamkeit. Als die Frauen in ihren Häusern verschwunden waren und die beiden zwischen dem Mühlteich zur Linken und dem Gebüsch oberhalb der Gaye zur Rechten auf die Brücke zugingen, deren Umrisse sich schwach in der Dunkelheit abzeichneten, blieb Rannilt plötzlich stehen, faßt Liliwin am Arm und sah ihm ernst ins Gesicht.
»Geh nicht in die Stadt! Bitte tu es nicht! Wenn du hier links abbiegst, wirst du auf einen Weg stoßen, der nach Süden führt.
Dort werden sie nicht nach dir suchen. Geh nicht durch das Stadttor! Und kehr nicht ins Kloster zurück! Du bist draußen, und niemand sonst weiß es. Vor morgen früh werden sie nichts davon merken. Flieh, solange du kannst! Du bist frei, du kannst gehen, wenn du willst…« Flüsternd drängte sie ihn, sich zu retten, und in ihrer Stimme lag hoffnungsvolle Entschlossenheit, aber auch Verzweiflung über den Schmerz,
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