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Zuflucht Im Kloster

Zuflucht Im Kloster

Titel: Zuflucht Im Kloster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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noch nicht, geh noch nicht!« Er preßte sie an sich, und sein Mund an ihrer Wange flüsterte erregt: »Bleib bei mir! Du kannst es, ich werde dir zeigen wo… Niemand wird uns finden, niemand wird uns finden.«
    Das Querschiff war schmal, und der Altar war breit. Er nahm fast den gesamten Raum zwischen den Stützpfeilern ein und sprang etwas aus der sich nach hinten verjüngenden Nische hervor. Hinter ihm befand sich ein kleiner Raum, der nur für jemand, der so klein und schmächtig war wie Liliwin, erreichbar war. Liliwin hatte sich vorgenommen, sich hier zu verbergen, falls seine Häscher es wagen sollten, in die Kirche einzudringen, und da er seinen Körper zwischen Altar und Säulen hindurchzwängen konnte, würde es für Rannilt kein Problem sein, ebenfalls in die Nische zu gelangen. Drinnen war es dunkel und niemand würde sie dort vermuten.
    »Hier, schlüpf hier hindurch. Dort wird uns keiner sehen.
    Sobald er glaubt, daß du fort bist, und seiner Wege gegangen ist, werde ich wiederkommen. Dann haben wir Zeit bis zum Vespergottesdienst.«
    Rannilt gehorchte; sie hätte alles getan, worum er sie bat.
    Ihre Sehnsucht war ebenso groß wie die seine. Sie zog den leeren Korb hinter sich in das Versteck. Aus der Dunkelheit hörte Liliwin ihr Flüstern: »Und du wirst kommen? Bald?«
    »Ja, ich werde kommen! Warte auf mich…«
    Kein Ton drang aus dem Versteck. Zitternd drehte Liliwin sich um und ging am Gemeindealtar vorbei zurück zum Südportal, trat hinaus und schlug den Weg zum östlichen Kreuzgang ein.
    Bruder Jerome hatte so viel Anstand besessen, sich in den Garten zurückzuziehen und weniger offensichtlich Wache zu halten, aber seine scharfen Augen waren immer noch auf das Portal gerichtet, und er schien zufrieden, als er den jungen Mann allein, mit hängenden Schultern und den Blick zu Boden geschlagen, aus der Kirche treten sah. Liliwin brauchte seine Niedergeschlagenheit nicht zu spielen – Freude und Schmerz trieben ihm die Tränen in die Augen. Am Scriptorium bog er nicht ab zu Bruder Anselms Zelle, sondern ging geradeaus weiter, an der Wand im Vorbau vorbei, wo auf seiner zusammengefalteten Decke die von Rannilt mitgebrachten Lebensmittel und Kleidungsstücke lagen, und weiter über den großen Innenhof in den Garten. Dort blieb er in der Deckung einiger Büsche stehen, blickte zurück und sah, daß Bruder Jerome seinen Wachtposten aufgegeben hatte und eiligen Schrittes zum Wirtschaftshof ging. Das Mädchen war fort – vermutlich hatte es die Kirche durch das Westportal verlassen; die Störung war beseitigt, die klösterliche Ordnung wiederhergestellt, und Bruder Jeromes Autorität hatte sich durchgesetzt.
    Liliwin rannte zurück zu seinem Strohsack im Vorbau, rollte das Essen und die Kleidungsstücke in seine Decken ein und überzeugte sich mit einem verstohlenen Blick ringsum davon, daß niemand ihn beachtete. Unbemerkt schlich er sich in die Kirche, eilte zum Querschiff und schlüpfte zwischen Altar und Säulen hindurch in sein finsteres Versteck. Rannilt streckte die Hände nach ihm aus und preßte ihre Wange an sein Gesicht.
    Sie zitterten beide und konnten einander fast nicht erkennen, und dieser Umstand ließ mit einem Mal alle Hemmungen, die die Welt dort draußen ihnen auferlegte, von ihnen abfallen: Nun konnten sie sprechen, ohne Worte zu gebrauchen, ohne Scheu und ohne Scham – sie waren Liebende. Das war etwas anderes, als nebeneinander im Vorbau zu sitzen, bevor Jerome wie die Schlange im Paradies zwischen sie trat. Dort hatten sie sich nur an den Händen gehalten, und selbst das hatten sie zu verbergen gesucht, als müßten sie sich dessen schämen. Hier, im Dunkel hinter dem Altar, empfanden sie keine Scham, erlegten sich keine Zurückhaltung mehr auf, sondern gaben sich unbeholfenen, leidenschaftlichen Zärtlichkeiten hin.
    Es war genug Platz für ein Lager aus Decken und Daniels abgelegten Kleidungsstücken, und der Staub, der sich im Laufe der Jahrzehnte auf dem Steinboden abgelagert hatte, machte es nur noch weicher. An die Wand gelehnt saßen sie da, wärmten sich gegenseitig und aßen die Reste, die Susanna Liliwin geschickt hatte. Sie klammerten sich aneinander, wie um sich zu trösten, und langsam bemächtigte sich ihrer eine Illusion der Sicherheit, die Trost überflüssig zu machen schien.
    Wenn sie sprachen, so geschah das in wenigen und geflüsterten Worten.
    »Frierst du?«
    »Nein.«
    »Doch, du zitterst ja.« Er rückte näher an sie heran, legte seinen Arm um sie,

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