Zuflucht Im Kloster
drückte sie an seine Brust und zog einen Zipfel der Decke über ihre Schulter. Sie fuhr mit ihrem Arm um seinen Nacken, liebkoste ihn mit Lippen und Wange und Stirn, zog ihn zu sich herab, bis sie Brust an Brust lagen und in gleichzeitigen, tiefen Seufzern beieinander lagen.
Etwas durchfuhr sie wie ein Blitz, der sie beide zusammenzucken ließ und sie, ohne daß sie bewußt etwas dazu taten, zu einem Wesen verschmolz. Beide waren sie unschuldig und doch wissend, aber das, was sie nun erfuhren, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit irgend etwas, das zu kennen sie geglaubt hatten. Danach fielen sie in Schlaf, bewegten sich nur, um sich noch fester aneinander zu schmiegen, und schreckten erst eine Stunde später, erfüllt von derselben Sehnsucht wie zuvor, wieder hoch, um noch einmal mit derselben Leidenschaft ineinander hineinzutauchen, ohne dabei ganz zu erwachen.
Dann schliefen sie wieder ein – so tief, so erschöpft, so erfüllt und verzaubert, daß nicht einmal der Gesang des Vespergottesdienstes im Chor sie erwachen ließ.
»Soll ich das Leinen für dich holen?« Das war Margerys Versöhnungsangebot. Sie war in Susannas Reich gekommen und hatte gesehen, daß die Hüterin des Haushaltes damit beschäftigt war, das Abendessen zuzubereiten.
»Danke«, sagte Susanna, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, »das mache ich lieber selbst.« Sie kommt mir nicht einen Schritt entgegen, dachte Margery verbittert. Ihr Leinen, ihre Vorräte, ihre Küche! Und in diesem Moment sah Susanna auf und lächelte sogar – ihr übliches, nicht unfreundliches, schiefes Lächeln. »Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann kümmere dich ummeine Großmutter. Du bist neu hier und darum wird sie zu dir freundlicher sein und gefügiger als bei anderen. Sie und ich, wir kennen uns nun schon zu lange und machen uns das Leben schwer. Wir sind uns zu ähnlich. Aber du bist neu und unverbraucht. Du würdest mir damit eine Mühe abnehmen.«
Margery vergaß ihre Verbitterung. »Ja, das tue ich gern«, sagte sie, lächelte Susanna zu und ging, ihr Bestes bei der alten Frau zu tun, die in ihrer Gegenwart ihre Bösartigkeit zweifellos zügeln wurde.
Erst später am Abend, als sie Daniel stumm und unaufmerksam am Tisch sitzen sah, wo er zufrieden irgendwelchen geheimen Gedanken nachhing, versank Margery wieder ins Brüten. Man verweigerte ihr, was ihr zukam.
An wessen Gürtel hing der Schlüsselbund? Und wer gebot der Magd, die übrigens noch immer nicht zurückgekehrt war?
»Ich frage mich«, sagte Bruder Anselm, als er nach dem Abendessen das Refektorium verließ, »wo mein Schüler geblieben sein könnte. Seit ich ihm erklärt habe, was Neumen sind, ist er mit Feuereifer bei der Sache gewesen. Sein Gehör und seine Singstimme sind wie die eines Engels. Und er hat sich heute abend noch nicht einmal sein Essen abgeholt.«
»Bei mir ist er auch nicht gewesen, um nach seinem Arm sehen zu lassen«, bemerkte Bruder Cadfael, der den ganzen Nachmittag im Kräutergarten mit der Zubereitung von Arzneien verbracht hatte. »Aber heute früh hat Oswin ihn sich angesehen, und er meint, die Wunde heile sehr gut.«
»Es war eine Dienstmagd hier, die ihm im Auftrag ihrer Herrin einen Korb mit Leckereien gebracht hat«, sagte Jerome, der ihr Gespräch mitangehört hatte. »Zweifellos hat ihm das den Geschmack an unserer einfachen Kost verdorben. Ich sah mich veranlaßt, die beiden zu tadeln. Vielleicht hat er sich das so zu Herzen genommen, daß er sich nun allein irgendwo herumdrückt.«
Bis jetzt hatte er gedacht, nur er habe den ungebetenen Gast nicht mehr gesehen, seit er allein aus der Kirche gekommen war; nun aber schien es, als habe Bruder Anselm ihn auch nicht mehr zu Gesicht bekommen, obwohl er doch weit mehr Grund dazu hatte als er selbst. Das Kloster war zwar groß, aber doch nicht so groß, daß ein Mann, der sich praktisch als Gefangener hier aufhielt, einfach verschwinden konnte. Wenn er überhaupt noch da war…
Jerome sagte kein weiteres Wort mehr zu seinen Brüdern, sondern nutzte die verbleibende halbe Stunde vor der Komplet zu einer Suche nach dem Jungen, die am südlichen Vorbau der Kirche endete. Der Strohsack auf der Steinbank war unberührt, und die Decken fehlten aus ungeklärtem Grund. Jerome übersah das kleine Bündel, das unter einer Ecke des Strohsacks hervorsah. Er stellte lediglich fest, daß von Liliwin jede Spur fehlte.
Kurz vor dem Beginn der Komplet meldete er sich atemlos bei Prior Robert und berichtete ihm von dem
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