Zuflucht im Teehaus
Klingeln reagierte niemand, doch die ältere Dame, die gleich daneben wohnte, erklärte mir, daß am Abend zuvor eine Umzugsfirma alle Sachen von Mr. Sakai zusammengepackt habe. Die Antiquitäten waren in einem Laster verstaut worden, während die billigen modernen Möbel von Mr. Sakai auf dem Müllhaufen hinter dem Haus gelandet waren. Mr. Sakai hatte nicht gesagt, wohin er ziehe, aber seine Frau hatte ihrer Nachbarin zum Abschied den Fernseher geschenkt.
»Das ist ja ganz schön mysteriös«, sagte Jun Kuroi, während wir wegfuhren. »Warum verschenkt er seinen Fernseher? Und wenn er einen großen Betrug vorhatte, warum hat er sich dann die Mühe gemacht, Ihnen die Kommode nach Tokio zu liefern? Er hätte doch Ihr Geld nehmen und die tansu behalten können, oder?«
»Die Umzugsfirma könnte uns den Bestimmungsort der Möbel sagen«, meinte ich.
»Ja, aber die alte Dame erinnert sich leider nicht mehr an den Namen der Umzugsfirma. Wahrscheinlich war sie zu sehr mit ihrem neuen Fernseher beschäftigt, um sich den Namen zu merken«, sagte Jun.
Ich würde alle Umzugsfirmen der Gegend anrufen müssen. Ein wenig deprimiert ob dieser Sisyphos-Aufgabe bat ich Jun, mich am Bahnhof abzusetzen.
»Nicht traurig sein, Rei-san. Wenn ich ein bißchen herumfahre, finde ich den Kerl schon«, versprach Jun und lenkte den Wagen gegen alle Verkehrsregeln auf den Taxistandplatz.
»Er ist weg. Ich weiß, daß er nicht mehr in Hita ist.« Ich versuchte die Beifahrertür zu öffnen, doch sie ging nicht auf.
»Tut mir leid! Das ist die Kindersicherung«, sagte Jun und drückte auf einen Knopf auf seiner Seite, um mich zu befreien. »Das ist eine meiner Methoden, den Kunden ein wenig länger bei mir zu halten.«
Ich mußte lachen. »Sie sind wirklich unglaublich.«
»Tja, das sagen alle Mädchen.« Jun zwinkerte mir zu. »Ich kann so ziemlich alles, Onesan .Ich tue, was ich kann, um den Kerl zu finden.«
»Machen Sie mal«, sagte ich, ohne mir etwas von seinen Bemühungen zu erhoffen.
4
Es war höchste Zeit, daß ich mich mit Nana Mihori in Verbindung setzte. Ich legte mir meine Erklärung für sie während meiner Fahrt nach North Kamakura zurecht. Nachdem ich aus dem Zug ausgestiegen und die fünfzehn Minuten bis nach Horin-ji zu Fuß gegangen war, bekam ich Panik. Nana Mihori hatte sich mir als Hausfrau vorgestellt, die sich für Antiquitäten interessierte, aber ich wußte, daß sie außerdem ehrenamtlich die Kamakura Green and Pristine Society, eine örtliche Umweltschutzgruppe, leitete. Im Jahr zuvor hatte ein neureicher Bauunternehmer versucht, Eigentumswohnungen auf einem Grundstück in den Kamakura-Hügeln zu errichten. Nana Mihori hatte sein Vorhaben bereits eine Woche nach Bekanntwerden gestoppt, und als der Bauunternehmer sich bei der Presse darüber beklagt hatte, hatte sie eine Kampagne gegen ihn initiiert, die dazu führte, daß er einen Auftrag in einer anderen Stadt verlor, seine Frau aus ihrem Frauenverein ausgeschlossen und sein Sohn nicht von einer guten Schule angenommen wurde – das munkelte man zumindest.
Ich passierte den Tempeleingang und nahm dabei kaum die berühmten nio ,geschnitzte Holzstatuen von Muskelmännern mit grimmigem Gesicht, wahr. Als ich sie zum erstenmal gesehen hatte, war ich stehengeblieben, um die feinen Schnitzereien zu bewundern, doch nun ging ich schnurstracks zum Wohnhaus des Klostervorstehers. Das bewaldete Anwesen war zu dieser Jahreszeit wunderschön. Überall blühten dunkelblaue Hortensien. Ich sank bei jedem Schritt in die weiche Erde von Horin-ji ein. Deshalb dauerte es eine ganze Weile, bis ich die niedrige Steinmauer erreichte, die das Haus der Mihoris vom Tempelbereich abtrennte.
Nana Mihori hatte erfreut geklungen, als ich sie von der Kita-Kamakura-Haltestelle aus angerufen und sie gefragt hatte, ob ich vorbeischauen dürfe. Vorbeischauen und ziemlich schlechte Neuigkeiten bringen ,dachte ich, während ich die Kiesauffahrt hinaufging. Ich sah mir kurz den schwarzen Wagen mit Vierradantrieb an, der dort stand, weil Hugh davon gesprochen hatte, daß er vielleicht seinen Windom gegen ein anderes, für den Transport von alten Möbeln geeigneteres Modell eintauschen wollte. Es war ein Toyota Mega Cruiser; Jun Kuroi hätte er sicher gefallen. Ich fragte mich, wem der Wagen gehörte. Nana Mihori, diese feminine Frau, die niemals Hosen trug, konnte ich mir nicht hinter dem Steuer vorstellen.
Das Wohnhaus sah aus, als befinde es sich schon seit Ewigkeiten dort, obwohl es
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