Zuflucht im Teehaus
vertieft in Nomu Idetas Geschichte gewesen, daß ich ihre Schritte nicht gehört hatte.
»Wir haben uns gerade darüber unterhalten, wie schön Ihre Familiensammlung ist«, improvisierte ich. »Es ist nur schade, daß Ihr Bruder keine weiteren Schätzungen mehr in Auftrag geben will.«
»Das hätte ich Ihnen gleich sagen können«, erklärte Miss Ideta in Widerspruch zu dem, was sie noch zehn Minuten zuvor gesagt hatte.
Ich hatte gegen die Regeln verstoßen und wurde dafür bestraft. Darüber durfte ich mich nicht beklagen.
»Es war niemand an der Tür, aber gleich kommt die Krankenschwester. Ich fürchte, ich muß vorher noch ein bißchen Ordnung machen.« Damit komplimentierte Miss Ideta mich hinaus.
9
Ich hatte immer noch die Verabredung zum Laufen mit Akemi Mihori. Natürlich hätte ich absagen können, aber dann hätte sie mich für feige gehalten. Nach allem, was ich in den vergangenen vierundzwanzig Stunden erlebt hatte, erschien es mir plötzlich sehr wichtig, diese Verabredung einzuhalten.
Wider Erwarten lag Angus Glendinning auf dem Wohnzimmersofa, als ich nach Hause kam, um mich zum Laufen umzuziehen. Er hatte beschlossen, mich zu begleiten. Hugh zuliebe tat ich, als freue mich das, doch insgeheim hoffte ich, daß er, während ich mit Akemi joggte, an der englischsprachigen Zen-Informationsveranstaltung im Tempel teilnehmen würde.
Auf der ungefähr einstündigen Fahrt nach Kamakura versuchte ich, einen Roman Banana Yoshimotos über sexuelle Obsession zu lesen, während Angus dem Anlaß gemäß einen Song von Bush mit dem Titel »Everything Zen« summte. Als ich ihn bat, damit aufzuhören, begann er mich mit Fragen zu löchern.
»Wie unterscheidet sich Zen vom ursprünglichen Buddhismus? Beten die nicht alle denselben Gott an?«
»Nun, die unterschiedlichen Ausrichtungen des Buddhismus gehen von dem Gedanken aus, daß die Welt und das Ich lediglich eine Illusion sind.« Ich versuchte mich an das zu erinnern, was ich in meinen College-Kursen über asiatische Religionen gelernt hatte. »Alle Buddhisten wollen die Erleuchtung erlangen, indem sie sich von egoistischen Wünschen befreien. Die Anhänger des Zen sitzen dazu oft stundenlang im Lotussitz, um den Schmerz zu überwinden. Soweit ich weiß, wollen sie durch die Abwendung vom rationalen Denken auf eine höhere Bewußtseinsebene gelangen.«
»Ach, da bin ich ähnlich! Nur nicht zu rational werden!«
Ich schüttelte den Kopf. »Könntest du den ganzen Tag regungslos im Lotussitz sitzen und es ertragen, daß ein Priester dich durch Schreie und mit einem Stock diszipliniert? Bist du dazu demütig genug?«
Angus schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht! Ich kann auch nicht glauben, daß diese Judo-Frau so lebt. Hugh sagt, ihre Familie hat jede Menge Kohle.«
»Ja, die Familie ist wohlhabend. Schließlich kommen ziemlich viele Bargeldspenden herein, und die muß man nicht versteuern. Außerdem muß in jeder Generation nur ein einziger Angehöriger der Familie tatsächlich im Tempel arbeiten. Die anderen Mihoris können sich sportlich und kulturell betätigen oder sich gesellschaftlich engagieren.« – Wie Nana Mihori, die ihre Zeit der Kamakura Green and Pristine Society widmete.
»Nicht schlecht, aber das ist doch wohl kaum Zen!« Angus schnaubte verächtlich.
Nach der Zugfahrt hatten wir noch einen fünfzehnminütigen Fußmarsch nach Horin-ji vor uns. Als wir an dem hohen Tempeltor vorbeikamen, zeigte ich Angus den herrlichen Hauptraum des Tempels, vor dem sich unzählige Tauben und Touristen mit gezückten Kameras aufhielten.
»Vergiß nicht, die Schuhe an den Stufen zum Hauptraum auszuziehen. Es ist wahrscheinlich ganz ähnlich wie in Indien. Wenn du nicht mehr weiterweißt, frag einfach die anderen Fremden.« Ich deutete in Richtung einer europäischen Touristengruppe.
»Aber die verstehe ich nicht, die kommen aus Deutschland!« beklagte sich Angus.
Ich ließ ihn stehen. Während ich wegging, versuchte ich, mir in Erinnerung zu rufen, daß ich auch Hugh einmal nicht hatte leiden können. Aber Angus war ganz anders. Er tat Menschen, Nahrungsmittel, einfach alles, ab, was er nicht kannte. Er beschäftigte sich ziemlich intensiv mit dem Ich und war weit entfernt vom buddhistischen Ideal.
Ich entdeckte Akemi, die sich in einer Übung bretzelartig verknotet hatte, auf einer Gummimatte außerhalb ihres dojo .Sie sah mich von der Seite an und sagte: »Ich hätte nicht gedacht, daß Sie tatsächlich kommen.«
Ich erwiderte seufzend:
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