Zuflucht im Teehaus
schaffen.«
Nun erwähnte sie schon zum zweitenmal die Krankheit ihres Bruders; offenbar beherrschte sie ihr Leben. Ich fragte: »Dann haben Sie also schon manche Stücke verkauft?«
Sie nickte. »Wir haben einen wunderbaren Mann gefunden, der uns hilft. Ich unterhalte mich jetzt nur mit Ihnen, weil wir gerne noch ein paar Stücke schätzen lassen würden.«
»Wie lange haben Sie mit diesem Mann zusammengearbeitet?« fragte ich.
»Lassen Sie mich überlegen. Wir haben den Mann vor drei Monaten kennengelernt. Eine Antiquitätenhändlerin hat mir damals einen netten Brief geschrieben und uns ihre Dienste angeboten. Daraufhin habe ich meinem Bruder – der natürlich der Alleinerbe ist – vorgeschlagen, den Wert seines Vermögens feststellen zu lassen, denn schließlich haben wir mit ständig steigenden Arztkosten zu rechnen. Die Frau hat sich alles angeschaut und sich auch für eine Menge Dinge interessiert, aber sie hat uns nicht das Geld geboten, das uns von einem anderen Händler geboten worden war. Deswegen haben wir ihm ein paar Sachen in Kommission gegeben. Er hat zwei tansu ,ein Set Schalen und ein paar Lackstücke mitgenommen … Dinge, die wir schon seit Jahren nicht mehr benutzt hatten.«
»War der Händler gut?«
»Ja, er hat die Sachen alle zu dem Preis verkauft, den er uns versprochen hatte. Das einzige, womit er Probleme hatte, war unsere tansu aus der Edo-Zeit.«
»Aber er hat sie verkauft?«
»Natürlich«, sagte sie stolz. »Diese Woche. Ein Kunde hatte Interesse daran, wollte sich aber noch nicht festlegen, und Mr. Sakai hat uns telefonisch gefragt, ob wir bereit wären, mit dem Preis ein wenig herunterzugehen. Ich habe zugestimmt, weil er die anderen Sachen so gut verkauft hatte, und daraufhin hat er auch die Kommode verkauft.«
»Wieviel haben Sie für die tansu bekommen?« fragte ich.
»Siebenhunderttausend Yen.«
Ich hatte alle Mühe, nicht zusammenzuzucken. Sakai hatte eins Komma drei Millionen Yen für sich behalten! In Zukunft würde ich kein schlechtes Gewissen mehr haben, wenn ich von meinen Kunden eine zwanzigprozentige Provision verlangte.
Nun wußte ich nicht so recht, wie ich weiter vorgehen sollte. Ich konnte sie in dem Glauben lassen, ich sei nichts als eine Händlerin, oder ich konnte aufrichtig sein. Wahrscheinlich, dachte ich, würde mich die zweite Alternative weiter bringen, und so griff ich in meine Handtasche und holte einen Umschlag heraus. Ich sagte: »Ich kaufe gelegentlich von Geschäften, so auch von Mr. Sakai, und er hat mir für Ihre tansu zwei Millionen berechnet. Hier ist die Quittung.«
Sie sah mich zuerst ungläubig, dann bestürzt und schließlich wütend an.
»Viel können wir dagegen nicht tun, denn er ist gestern abend gestorben. Das stand in der Zeitung«, fügte ich hinzu, damit sie nicht nachfragte, woher ich das wußte.
»Das Geschäft, in dem er arbeitete, Hita Fine Arts – kann man das nicht haftbar machen?« fragte sie.
»Der Geschäftsführer sagt nein. Sakai hatte den Raum nur gemietet, und der Vermieter hat mit den ausgehandelten Geschäftsabschlüssen nichts zu tun.«
»Ich bin froh, daß ich ihm nicht mehr gegeben habe.«
Erst jetzt merkte ich, daß sie mich nicht nach den Umständen von Mr. Sakais Ableben gefragt hatte. Sie interessierte sich lediglich dafür, daß sie betrogen worden war. Wahrscheinlich machte das den Rest unseres Gesprächs einfacher.
»Ich bin heute zu Ihnen gekommen, um mehr über die tansu herauszufinden. Zum Beispiel über ihre Herkunft.«
Sie sah sich die Polaroid-Fotos an, die ich von der Kommode gemacht hatte, und schüttelte den Kopf. »Sie sieht aus wie unsere, aber beschwören kann ich es nicht. Ich kenne mich nicht so gut mit Möbeln aus wie mein Bruder. Ah, er ruft gerade nach mir.«
» Ocha !« Ich hatte die Stimme ebenfalls gehört, die nach Tee rief.
»Der Herr.« Sie verzog das Gesicht, und ich fragte mich, ob das ironisch gemeint war; schließlich war »Herr« auch der höfliche Ausdruck für »Ehemann«. »Würden Sie bitte ein paar Minuten hier warten? Ich muß meinem Bruder seinen Vormittagstee bringen.«
Ich setzte mich, während sie in der Küche hantierte, erhob mich jedoch sofort wieder, als sie mit dem Teetablett nach oben ging. Als erstes sah ich mir die wunderbar erhaltenen Holzschnitte in dem Raum an. Offenbar hatte ihr Vater schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln begonnen, weil diese Drucke mittlerweile viel zu teuer geworden waren, um sie zu erwerben. Die Möbel
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