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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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denken, in dem die Kunstwerke wöchentlich umgehängt wurden. »Die Frau, von der Sie sprechen … ist sie bekannt? Ist sie vielleicht Mitglied der Green and Pristine Society?«
    »Genau. Nachdem ich mich geweigert hatte, ihr meine Schriftrollen zu geben, sind hier an der Straße überall Halteverbotsschilder aufgestellt worden. Sie können sich vorstellen, wie negativ es sich aufs Geschäft ausgewirkt hat, daß niemand mehr vor meinem Laden parken konnte.«
    »Wie schade«, sagte ich und hatte ein besonders schlechtes Gewissen, weil ich, eine ihrer wenigen Kundinnen, die ohne Auto kamen, ihr nichts abkaufen konnte.
    »Manchmal frage ich mich, ob es dumm von mir war, ihr das, was sie wollte, nicht zu geben. Wenn ich ihr die Schriftrolle überlassen hätte, hätte ich einhunderttausend Yen verloren. Jetzt habe ich durch den Geschäftsrückgang viel höhere Einbußen, und ich habe sogar meine Assistentin Satosan verloren, die jeden Nachmittag mit dem Auto gekommen ist, um mich abzulösen. Nun kann sie nicht mehr kommen, weil es hier keine Parkplätze mehr gibt.«
    »Sie hat als Verkäuferin bei Ihnen gearbeitet?« fragte ich.
    »Genau. Nachmittags muß ich immer meine Enkelin vom Kindergarten abholen; in dieser Zeit muß ich jetzt das Geschäft schließen. Es ist schrecklich.«
    »Ich könnte Sie nachmittags vertreten«, sagte ich. Ich hatte erwartet, daß Mrs. Maeda entzückt oder entsetzt reagieren würde. Statt dessen wirkte sie verwirrt. »Ich brauche einen Job. Und einen Ort, von dem aus ich meine eigenen Geschäfte tätigen kann«, fügte ich hinzu, wild entschlossen, ehrlich zu bleiben.
    »Aber ich kenne Sie doch gar nicht«, meinte sie.
    »Sie meinen, ich bin zwar schon einige Male hier gewesen, aber Sie wissen nichts über meine Familie, meine Blutgruppe oder was auch immer!« Ich redete mich in Rage. »Als Ausländerin habe ich natürlich keinen ausführlichen japanischen Lebenslauf, aber ein paar bekannte Antiquitätenhändler könnten Ihnen Auskunft über mich geben – zum Beispiel mein Freund Mr. Ishida in Tokio.«
    »Wieso sind Sie Ausländerin? Sie heißen doch Shimura.«
    »Ich komme aus Kalifornien«, sagte ich, erfreut darüber, daß sie mich offenbar für eine Japanerin gehalten hatte.
    »Dann sprechen Sie also Englisch!« Sie bekam große Augen.
    »Ja, und auch ein bißchen Spanisch.«
    »Das wäre wunderbar für die Touristen! Es ist schon ein paarmal vorgekommen, daß gaijin in meinen Laden geschaut haben, aber ich habe nicht verstanden, was sie wollten.«
    »Ja, mit Ausländern muß man wirklich anders umgehen als mit Japanern«, pflichtete ich ihr bei. »Sie reagieren besonders begeistert auf Preisnachlässe.«
    »Ich kann Ihnen nur zwölfhundert Yen die Stunde zahlen, aber zusätzlich könnte ich Ihnen einen Händlerrabatt bieten … sagen wir vierzig Prozent?«
    »Wirklich?« Mit einem so großen Nachlaß konnte ich mir vielleicht etwas für Mrs. Kita leisten.
    »Das ist das mindeste, was ich für Sie tun kann, und außerdem bringt mir das auch ein bißchen Umsatz, finden Sie nicht auch?«
     
    Bis zum Mittag zeigte mir Yoko-san, wie ich sie nun nennen durfte, den ganzen Laden. Ich rettete einen Posten obi – Kimonoschärpen aus Brokat –, den sie ganz hinten ins Lager gequetscht hatte. Außerdem überredete ich sie, ein buntes Karpfenbanner vor den Laden zu hängen.
    »Das ist für die Feier des Jungentages. Ich kann es nicht im Spätsommer hinaushängen.«
    »Es ist ein Blickfang und zeigt den Leuten, daß wir geöffnet haben«, erklärte ich ihr. Nachdem sie gegangen war, sah ich mich in dem Laden um und versuchte, mir über meine Situation klarzuwerden. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich es für einen Rückschritt gehalten, als Verkäuferin in einem Laden zu arbeiten, aber das, was Yoko mir zahlte, würde meine täglichen Ausgaben decken, und obendrein konnte ich für die Kaution sparen, die ich für meine nächste Wohnung zahlen müßte.
    Sie hatte nicht gelogen mit ihrer Feststellung, daß das Geschäft nicht gutging. An jenem Nachmittag hatte ich nur zwei Kunden – von denen einer achttausend Yen für einen obi zahlte. Ich hatte genug Zeit, Mrs. Kita anzurufen und ihr zu sagen, welche Schriftrollen ich bis jetzt gefunden hatte. Sie versprach mir, am folgenden Nachmittag vorbeizuschauen und sich etwas auszusuchen.
    Um fünf Uhr konnte ich den Laden schließen. Den Schlüssel warf ich durch den Briefschlitz. Ich nahm nicht den Zug nach Horin-ji, sondern ging zu Fuß.

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