Zuflucht im Teehaus
Es war sehr interessant, mich mit einem Mönch zu unterhalten.«
»Es war kein offizielles Treffen. Ich weiß nicht einmal, wie Sie heißen.«
»Shimura Rei.« Ich nannte wie in Japan üblich zuerst meinen Nachnamen. »Und Sie?«
»Ich heiße Wajin. Ich kümmere mich um das Gelände hier.«
Als ich das hörte, wurde er mir noch sympathischer. »Akemi ist heute nicht da. Sie könnten also wieder auf ihrem Pfad joggen, ohne daß sie es merkt.«
Wajin lachte. »Das heißt wohl, daß Sie keine Geschichten mehr über mich erzählen werden?«
»Ich habe nur etwas gesagt, weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Immerhin halte ich mich in dem für Touristen nicht zugänglichen Bereich des Geländes auf. Ich wußte nicht, was Sie tun würden …«
»Aber Sie haben doch eine Erlaubnis dafür«, sagte er, nicht ohne Sarkasmus. »Da spielt doch das, was ich sage, keine Rolle.«
Ich verabschiedete mich ziemlich verlegen und machte mich auf den Weg zur Damentoilette. Ich wusch mir Hände und Gesicht, weil ich das Gefühl hatte, daß Wajins Berührung eine Schmutzspur auf meiner Wange hinterlassen hatte. Als ich in den matten Spiegel über dem Waschbecken sah, schrak ich zurück. Der blaue Fleck war verschwunden.
18
Als ich wieder im Teehaus war, ließ ich den Finger über meine Wange gleiten. Ich war immer der Meinung gewesen, daß Geistheilung Humbug sei, aber jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Der Buddhismus steckte voller Wunder – Bäume, die perlenähnliche Tränen weinten, Tote, die wieder zum Leben erwachten. Wenn Wajin heilende Hände hatte, vergeudete er im Garten sein Talent.
In meiner Aufregung darüber, daß der blaue Fleck verschwunden war, hatte ich den Akku völlig vergessen. Ich würde ihn am Nachmittag holen müssen, wenn Miss Tanaka beim Einkaufen war. Fürs erste würde ich eine öffentliche Telefonzelle in Kamakura benutzen.
Nachdem ich in das Sommerkleid geschlüpft war, das ich während meiner Kletterpartie über den Balkon getragen hatte, ging ich in südlicher Richtung die Kamakura-kaido entlang, eine lange, schmale Straße mit kleinen Zen-Tempeln zu beiden Seiten, ein paar Restaurants und Geschäften. Mir fiel auf, daß viele Frauen, die ihre Kinder zur Schule brachten, einen Sonnenschirm dabeihatten, ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, als blasse Haut noch als nobel galt und braune nur bei Landarbeitern vorkam. Eigentlich hätte auch ich mir einen Sonnenschirm kaufen sollen wie die Legionen von Frauen, die ihn seit ihrer Kindheit benutzten und auch mit fünfzig oder sechzig noch kaum Falten hatten. Aber das wäre mir schwergefallen, weil meine Haut nur selten rot wurde, die Sonne nur aufsaugte und durch sie schöner wurde. Genau so hatte sich Wajins Berührung angefühlt: wie eine Liebkosung der Sonne.
Da alle Lokale noch geschlossen hatten, setzte ich mich auf eine Bank in der Nähe des Hachiman-Schreins, Kamakuras berühmtester Shinto-Stätte. Überall stellten Arbeiter mit künstlichen Blumen und bunten Luftschlangen geschmückte Stände für das bevorstehende Tanabata-Fest auf. Ich hörte ein paar von ihnen von einem Bogenschießwettbewerb erzählen. Sie mußten einen langen, schmalen Streifen der Straße absperren, auf dem die Reiter ihre Pferde vorführen konnten – die Frage war nur: Wie sollten sie die ganzen Plätze für die Ehrengäste entlang dieses Streifens anordnen? Und wie nahe durften diese Plätze den Bogenschützen sein, ohne daß die Gäste gefährdet wurden?
Mittlerweile war es neun Uhr, das hieß, daß Hugh mit Sicherheit im Büro war und ich den Anrufbeantworter abhören konnte, ohne mit ihm sprechen zu müssen. Ich ging zu einer öffentlichen Telefonzelle, warf zweihundert Yen ein und wählte die Nummer von Hugh.
»Yo.« Angus hörte sich an, als kaue er gerade etwas.
»Tut mir leid, daß ich dich störe, Angus. Wenn du auflegst, rufe ich noch mal an, um mir die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter anzuhören.«
»Rei?« Angus klang schadenfroh. »Wär ziemlich blöd, wenn du auflegst, weil Hugh deine Anrufe sowieso schon alle abgehört und gelöscht hat.«
»Dann sag Hugh, daß er ein Schwein ist. Ich hab alle Nachrichten an ihn weitergeleitet!«
»Nun mach dir mal nicht in die Hose«, brummte Angus. »Es hat sowieso bloß ein Typ angerufen, der was auf japanisch gesagt hat, und den haben wir nicht verstanden. Ich glaube, mein großer Bruder hatte so ’ne Ahnung, wer der Kerl war, weil er hinterher die ganze Zeit von ’nem japanischen Elvis
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