Zuflucht im Teehaus
Joggen taten mir die Beine weh, aber allmählich begann ich, dieses Gefühl zu mögen.
Ich wartete auf Kazuhito. Nach meinem Gespräch mit Mrs. Kita hatte ich versucht Angus anzurufen, damit er mir Akemis Cousin genau beschrieb. Doch Hugh war an den Apparat gegangen, und ich hatte aufgelegt. Ich war mir bewußt, daß das nicht die feine Art war, da ich selbst ungefähr drei Anrufe täglich bekam, bei denen ich nur jemanden atmen hörte. Aber ich war noch nicht in der Lage, mich mit Hugh auseinanderzusetzen.
Eigentlich hätte ich auch Akemi fragen können, wie der schwer zu fassende Kazuhito aussah. Aber sie hatte sich beim Laufen merkwürdig verhalten und einen Kopfhörer aufgesetzt, damit sie nicht mit mir reden mußte. Über irgend etwas war sie wütend gewesen, vielleicht darüber, daß ich das Teehaus verlassen wollte.
An jenem Abend war die Meditation kurz. Die Mönche blieben nur eine halbe Stunde sitzen, dann schlug ein Priester den Gong. Danach warfen sich die Männer vor dem Altar nieder und marschierten anschließend in Zweierreihen in einen anderen Teil des Tempelkomplexes. Wahrscheinlich gingen sie zum Essen.
Wie lange würde ich auf Kazuhito warten, und was würde mir das bringen? Letztlich wollte ich nur eine Gelegenheit, ihn mir anzusehen, in seine Augen zu schauen. Vielleicht wußte ich dann, ob er in der Lage war, einen Mord zu begehen, oder ob er vielmehr der nächste sein würde, der umgebracht wurde. Er war erst vor kurzem wegen seiner Diabetes-Erkrankung zusammengebrochen. Hatte den Zusammenbruch möglicherweise der Mörder herbeigeführt?
Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung in den Büschen wahr. Zwei schlanke Gestalten kamen vom Haus der Mihoris auf mich zu: Akemi, über die ich mir gerade Gedanken gemacht hatte, und ihre Mutter Nana. Ich drückte mich ins Gebüsch.
» Taihen komatta-wa .«
Alles ist schiefgelaufen .Ich bekam nur noch die letzten Worte mit, die Nana Mihori zu ihrer Tochter sagte. Sie sprach sie mit einer Schärfe aus, die ich vorher noch nie von ihr gehört hatte.
»Es ist noch nicht zu spät. Laß uns noch ein bißchen warten, neh? « versuchte Akemi, sie zu beruhigen.
»Du hast gesagt, ich kann ihr vertrauen. Und ich habe dir geglaubt.« Nana blieb stehen. Sie stand so dicht bei mir, daß ich nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihren purpurfarbenen Kimono mit den Hortensienblüten berühren zu können. Von Akemi sah ich nur die kleinen, breiten Füße in den teuren Turnschuhen und ihre glatten, muskulösen Beine.
»Sie ist immer gut für eine Überraschung, was?« sagte Akemi, und ich spürte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. Sie sprachen über mich!
»Wir müssen aufpassen, was sie macht.« Nana setzte sich auf eine Bambusbank. Ein paar Tauben flatterten hoch und flogen in meine Richtung. Als sie sich auf den Ästen meines Busches niederließen, betete ich, daß die beiden Frauen sich nicht umdrehten und mich entdeckten.
»Zuerst müssen wir uns um das Fest kümmern. Das ist im Augenblick wichtiger«, sagte Akemi.
»Ja, danke, daß du mir dabei hilfst. Es tut mir leid, daß ich weg mußte, als du mich gebraucht hättest.«
»Kein Problem«, sagte Akemi.
»Er will heute abend mit mir sprechen. Was soll ich sagen?«
»Lächle einfach und stell dich dumm, wie du’s all die Jahre getan hast.« Durch die Äste hindurch sah ich, daß Akemi Dehnübungen machte, als wolle sie wirklich jede Minute für ihr Training nutzen.
»Akemi …« In Nanas Stimme schwang so etwas wie eine Warnung mit.
»Das war nur ein Scherz, neh? Gehen wir weiter, die Mücken hier machen mich noch wahnsinnig.«
Zu meiner Überraschung gingen sie die Stufen zum Tempel hinauf. Wahrscheinlich schlossen sie sich Mr. Mihori und den Mönchen zum Abendessen an.
Als ich sicher sein konnte, daß sie weg waren, schlich ich mich im Schutz der Büsche aus dem Tempelgarten zu meinem inzwischen gar nicht mehr so geheimen Versteck, dem Teehaus.
Nana hatte meinen Namen in dem Gespräch nicht genannt, aber offensichtlich wußte sie, daß ich mich im Teehaus eingenistet hatte. Und mit ihrer Äußerung, ihre Tochter solle sich um die Angelegenheit kümmern, meinte sie mit ziemlicher Sicherheit etwas anderes, als daß sie mir etwas zu essen bringen sollte.
Das Fest war erst einmal wichtiger – das Tanabata-Fest, das der ganzen Stadt ein fröhliches Gesicht gab. Am Nachmittag hatte Akemi mich gebeten, daran teilzunehmen. Nach unserem schweigenden Lauf war sie mit mir zum Lager des
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