Zuflucht im Teehaus
Freundin was zu trinken«, scherzte Akemi und fügte hinzu: »Mit der Maske erkennt Sie niemand, das sollten Sie doch wissen.«
Sie hatte recht. Außerdem hatte Hugh keine Ahnung, daß ich nun in Kamakura wohnte oder daß ich dumm genug war, auf einem Festwagen in der Gegend herumzufahren. Als ich den Blick wieder hob, sah ich, daß Hugh und Angus nicht einmal in Richtung der Parade schauten. Sie betrachteten eine Frau, die sich ihnen näherte: Winnie Clancy. Sie trug ein ausgesprochen geschmackvolles langes Leinenkleid, das an mir nach nichts ausgesehen hätte. Ganz vertraut hakte sie sich bei Hugh unter.
Unser Wagen war mittlerweile an ihnen vorbei, so daß ich sie nicht weiter beobachten konnte. Jetzt war es geschehen: Die rikisha hatte meine Gefühle unter ihren Rädern zermalmt. Ich nahm einen Schluck Sake und lauschte dem Geschäker der Leute um mich herum. Obwohl Akemi kostümiert war, wußten alle, wer sie war; die Leute sprachen sie auf ihr Training an, und sie scherzte mit ihnen.
Mir fielen all die Leute aus Kamakura wieder ein, die Akemi so freundlich begrüßt hatten, als wir zum Essen in die Stadt gegangen waren. Sie schien sich unter diesen Leuten genauso wohl zu fühlen. Alle redeten darüber, was als nächstes passieren würde, über Mr. Mihoris Rede am Endpunkt der Parade in der Nähe des Hachiman-Schreins. Mr. Mihori und andere Würdenträger würden dort sprechen, und danach würden Kinder aus der Gegend Gebete vortragen, die sie zu Ehren der Schutzgöttin des Festes verfaßt hatten.
»Der Anfang ist ziemlich langweilig«, sagte Akemi zu mir. »Das einzige, was mir wirklich gefällt, ist das Bogenschießen. Ich würde mir wünschen, daß ein Pfeil in eine bestimmte Richtung fliegt.«
Dachte sie da an ihren Cousin Kazuhito? Ich wurde wieder nervös, als mir einfiel, daß in Kamakura schon manches Attentat verübt worden war, unter anderem das auf den jungen Shogun Sanetomo aus dem Hojo-Clan im Jahre 1219. Der Mann war damals von einem eifersüchtigen Verwandten geköpft worden. Die meisten Leute waren der Meinung, der Mörder sei sein Neffe gewesen, aber es gab auch noch jede Menge anderer Verschwörungstheorien darüber, wer sich in dem riesigen Gingko-Baum links neben dem Schrein verborgen hatte, um Sanetomo zu ermorden. Das nie aufgeklärte Verbrechen hatte große Ähnlichkeit mit dem, was ich gerade über die Idetas und Mihoris herausfand.
Der Umzug endete vor dem geschmückten roten Eingang zum Hachiman-Schrein. Wir kletterten von dem Wagen herunter, und ich stellte mich neben Akemi und die anderen rikisha-Fahrer .Akemis Vater war mit mehreren anderen buddhistischen und Shinto-Priestern, die prächtigere Kostüme und wunderbaren Kopfschmuck trugen, auf einer Bühne. Daneben standen der Bürgermeister von Kamakura sowie andere wichtige Persönlichkeiten der Stadt in Anzügen. Es war nicht eine Frau unter ihnen.
»Es ist doch nicht zu fassen, daß er zuerst sprechen darf«, hörte ich Akemi sagen. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte Wajin in seiner prächtigen, türkisfarbenen Robe, der gerade ans Mikrophon trat. Erst jetzt wurde mir klar, daß diese Robe kein Kostüm war; offenbar nahm er im Tempel einen höheren Rang ein, als ich vermutet hatte.
»Guten Abend. Ich darf unsere geschätzten Gäste im Namen der religiösen und weltlichen Vertreter von Kamakura herzlich zu unserem Tanabata-Fest willkommen heißen.« Wajin verneigte sich tief. Er klang freundlich, aber bestimmt und sprach mit einer kräftigen, tiefen Stimme, die ich das erste Mal bei ihm hörte.
»Im Namen der Familie! Das ist ja reizend.« Akemis Kommentare gingen mir auf die Nerven; ich versuchte das, was sie sagte, auszublenden, und mich ganz auf Wajins Worte zu konzentrieren.
»Dieses Sternenfest gibt uns Gelegenheit, den Sommer zu feiern und uns mit der Bedeutung alter Mythen auseinanderzusetzen. Das Tanabata-Fest hat seinen Ursprung darin, daß Frauen aus der guten Gesellschaft Gedichte und Wünsche auf Streifen bunten Papiers schrieben, die sie dann an die Äste des heiligen Bambusbaums banden. Diese Äste voller Gebete wurden der Sternengöttin Orihime dargeboten, die für ihr Geschick am Webstuhl bekannt war. Orihime war mit Kengyu verlobt, einem Kuhhirten, der auf einem anderen Stern lebte. Kennt jemand den Fortgang der Geschichte?« Er lächelte die Schüler an, die in sommerlicher Matrosenuniform vor ihm standen, aber niemand traute sich, etwas zu sagen.
»Als Orihime sich verliebte, hörte sie auf zu
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