Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
Vom Netzwerk:
hatte kein Vertrauen zu Anrufbeantwortern. Ich beschloß, mir die tansu noch ein letztes Mal anzusehen, bevor ich ihren Transport in Mr. Ishidas Lager arrangierte. Als ich das Arbeitszimmer betrat, war ich überrascht, ein Ächzen zu hören. Angus sah mich unter einem Berg Decken hervor an.
    »Oh, Entschuldigung«, sagte ich, »ich wollte nicht einfach so hereinplatzen«, und sah etwas genauer hin, um festzustellen, ob noch jemand im Bett lag. »Bist du die ganze Zeit hier gewesen?«
    »Nein, ich war im Isn’t It, dann im Gas Panic und hinterher noch in ’ner Kneipe, die du wahrscheinlich nicht kennst, im Underground.« Angus kroch tiefer unter die Decke. »Ich bin reingekommen, als du geduscht hast. Ich dachte, es ist dir sicher lieber, wenn ich den Kopf nicht reinstecke und hallo sage.«
    »Da hast du allerdings recht.« Ich ging neben dem Futon in die Hocke. »Macht’s dir was aus, wenn ich mir die tansu noch mal genauer ansehe?«
    »Was willst du denn sehen? Ich hab meine ganzen Sachen wieder reingetan.«
    »Ich versprech dir, daß ich nicht drin wühle. Ich will nur die Echtheit der Kommode überprüfen.«
    »Na ja, schließlich gehört das Ding dir. Also los.« Angus drehte sich auf die Seite und beobachtete mich genau, als ich jede Schublade einzeln herauszog. Seine Klamotten quollen daraus hervor, und ein schmutziger Strumpf steckte in dem schmalen Spalt zwischen der Seitenwand und dem Boden der Kommode. Ich zog vorsichtig daran, um kein Loch hineinzureißen, da bewegte sich der Boden der tansu .
    »Das passiert in letzter Zeit ständig«, sagte Angus. »Irgendwas ist abgebrochen, und jetzt kommt jedesmal der Boden hoch.«
    Ich brauchte eine Weile, bis mir die Bedeutung seiner Worte klar wurde. Ich klopfte gegen den Boden der tansu .Er klang hohl.
    »Das ist ein doppelter Boden. Hast du das die ganze Zeit gewußt?« Ich starrte die Decke an, die Angus über sich gebreitet hatte. Als er nicht reagierte, kippte ich die tansu .Der doppelte Boden rutschte halb heraus. Jetzt sah ich, daß er mit kleinen Holzstiften versehen war, die genau in die Löcher auf der Seite paßten. Ich entfernte die Platte, konnte aber dahinter nichts entdecken.
    »Du hast da drin doch nicht etwa was gefunden, oder?« fragte ich Angus.
    »Bloß ’ne alte Papierrolle«, murmelte Angus unter seinen Decken hervor.
    »Und was hast du damit gemacht?«
    »Ich hab sie recycelt. Das Ding war ziemlich alt, aber das Papier hatte genau die richtige Stärke.«
    »Du hast was Altes weggeworfen?« Ich wußte noch immer nicht, worüber wir eigentlich redeten, aber trotzdem war ich so fassungslos, daß ich Angus die Decke vom Gesicht zog.
    Er rollte auf dem Futon von mir weg und brummelte in die Kissen: »Ich weiß ja, daß du’s nicht magst, wenn ich in der Wohnung rauche, aber du bist ausgezogen, und Hugh hat’s anscheinend nichts ausgemacht.«
    »Egal. Bitte, sag mir nur, was aus dem Papier geworden ist …«
    »Ich habs geraucht.«
    Ich versuchte den Sinn seiner Worte zu erfassen. »Du meinst, du hast das Papier in Stücke geschnitten und Zigaretten damit gerollt?«
    »Es ist noch was übrig. War ’ne ziemlich lange Rolle.«
    »Bitte, zeig sie mir.«
    Angus erhob sich, nur mit einem Slip bekleidet, von seinem Futon. Ich sah ihm zu, wie er mit seinem langen, knochigen Arm ins oberste Fach des Bücherregals griff und eine lange, schwere Posterhülle herunterholte. Ich kannte sie gut; in ihr befand sich mein Abschlußzeugnis von Berkeley. Ich war bisher noch nicht dazu gekommen, es rahmen zu lassen. Er nahm den Deckel von der Hülle und holte eine dicke Rolle Papier heraus. Ich sah sofort, wie brutal ein Ende davon abgeschnitten war, sagte aber nichts. Er reichte mir die Schriftrolle, und ich entrollte sie und beschwerte sie mit Hughs gewichtigen Gesetzeskommentaren.
    »Ich hab dir doch gesagt, daß bloß Gekritzel drauf ist. Sieht aus, als hätte jemand seinen Pinsel ausprobiert«, murmelte Angus.
    Mir erschienen die Schriftzeichen eher wie ein Wasserfall. Kaskaden von Zeichen ergossen sich über das fast zwei Meter fünfzig lange, zusammengefügte Papier, das in sanften Gelb-, Rot- und Indigotönen gefärbt und gelegentlich mit goldenen Chrysanthemen geschmückt war. Solches Papier war typisch für die Momoyama-Zeit im frühen siebzehnten Jahrhundert, und der Kalligraph war vermutlich ein Aristokrat gewesen, kein Mönch. Ich betrachtete die Schrift, die im für seine Unleserlichkeit berühmten, aber schönen sosho- Stil gehalten war. Ich

Weitere Kostenlose Bücher