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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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erkannte die Zeichen für »Fluß« und »Berg«. Der Verfasser hatte sogar eine Zeichnung vom Fudschijama eingefügt. Konnte das so etwas wie ein Reisetagebuch sein?
    »Was war auf dem Teil, den du abgeschnitten hast? Weißt du das noch?« fragte ich Angus.
    »Keine Ahnung. Jetzt, wo du’s ganz aufgerollt hast, sieht’s tatsächlich nach was aus. Verdammt, ich hab wieder mal Scheiße gebaut.« Angus klang ziemlich bedrückt.
    »Na ja, wenigstens weiß ich durch dich jetzt von der Existenz der Rolle.« Ich seufzte. »Hast du noch welche von den Zigaretten?«
    »Mmm, ich glaub schon. Würde dir das was helfen?« Als ich nickte, griff er noch einmal in die Posterrolle und holte fünf dicke Zigaretten heraus. »Drei hab ich schon geraucht, tut mir leid. Die da roll ich gern wieder aus.«
    Kurz darauf lagen fünf leicht gewölbte, blaßgraue Papierstücke vor mir. Ich fügte sie so aneinander, daß sie die letzte Textzeile ergaben. Auf einem der Stücke befand sich ein winziger, scharlachroter Tintenfleck, wahrscheinlich die Ecke des Künstlersiegels. Der Rest, vermutete ich, war in Rauch aufgegangen.
    »Kannst du’s zusammenkleben? Was steht drauf?«
    »Tja, fürs Entziffern muß ich mir ein bißchen Zeit nehmen. Schade, daß die Schriftrolle nicht in der Originalschachtel war. Da wären der Name des Künstlers, eine Beschreibung des Inhalts und die Entstehungszeit draufgestanden.« Aber ich wußte bereits, an wen ich mich für diese Informationen wenden mußte, an das Tokyo National Museum Research Center. Allerdings würde ich die Rolle nicht mitnehmen – sie war viel zu wertvoll. Lieber würde ich ein paar Fotos davon machen.
    Ich holte meine Polaroid-Kamera und machte Großaufnahmen von allen Details.
    Angus fragte: »Ist das Ding was wert?«
    »Und ob. Eine Schriftrolle aus dieser Zeit ist letztes Jahr in San Francisco für vierzigtausend Dollar verkauft worden.«
    »Aber die war wahrscheinlich unbeschädigt, oder? Tut mir leid, Rei.«
    Es war das erste Mal, daß er sich für etwas entschuldigte. Fast ein wenig gerührt sagte ich: »Meine Mutter hat mir erzählt, daß sie verkauft wurde, obwohl am Rand Schimmelflecken und Insektenlöcher waren. Also besteht noch Hoffnung. Und was deine Entschuldigung anbelangt – es war genial, daß du die Schriftrolle in der tansu gefunden hast. Ich bin sicher, daß es das war, wonach die Einbrecher gesucht haben.«
    »Wirklich?« Sein Gesicht hellte auf. »Und wo sollen wir das Ding jetzt verstecken?«
    »Ich will’s nicht mehr in der Wohnung haben. Am besten wird’s sein, wenn ich die Schriftrolle in mein Schließfach in der Bank bringe.«
    »Ganz schön mutig. Soll ich dich begleiten? Wegen der Sicherheit und so?«
    »Ich dachte, du willst schlafen«, sagte ich.
    »Ach, was sind schon vierzigtausend Sekunden Schlaf im Vergleich zu vierzigtausend Dollar?«

23
    Eine Stunde später ruhte die Schriftrolle sicher im Safe der Sanwa Bank, und ich versuchte Angus zu überzeugen, daß er mich guten Gewissens allein lassen konnte. Wir standen vor dem Café Almond an der Roppongi Crossing in der Hitze, und die Luft wurde noch heißer, als ein junger Typ sein Motorrad anließ und die Abgase uns entgegenschlugen.
    »Geh noch nicht«, bettelte Angus. »Komm mit und mach mir was zu essen. Bitte, rette mich vor Winnies Roastbeef-Resten.« Angus gab ein würgendes Geräusch von sich.
    »Du machst dir nichts aus mir; dir ist bloß dein Magen wichtig. Das ist widerlich.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr.
    »Faß dir mal an die eigene Nase. Denk nur daran, wie du meinen Bruder zur Schnecke gemacht hast. So was kann sonst bloß ich mir erlauben.«
    »Angus, ich weiß deine Sorge wirklich zu schätzen, aber vielleicht solltest du dich mal dran erinnern, wie du mich letzte Woche angebrüllt hast.«
    »Würdest du denn wieder bei meinem Bruder einziehen, wenn ich die Mücke mache?«
    Ich legte die Hand auf seine knochige Schulter. »Das Problem bist nicht du, sondern unsere Beziehung. Aber wir streiten uns nicht mehr. Wir haben uns friedlich geeinigt.«
    Angus sah mich zweifelnd an. »Und wo willst du heute nacht schlafen?«
    »Ich werde mir fürs erste ein Zimmer mieten. Du hast meine Holzschnitte verkauft, da kann ich mir das leisten.«
    »Aber in einer guten Gegend kriegst du für das Geld kein Zimmer.« Angus runzelte die Stirn, und plötzlich wurde mir bewußt, daß er sich ganz wie sein Bruder anhörte.
    »Hör zu, ich muß zuerst meine Recherchen im Tokyo National Museum erledigen,

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