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Zuflucht im Teehaus

Zuflucht im Teehaus

Titel: Zuflucht im Teehaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata Massey
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ich sah, daß Hugh den Kopf noch einmal durchs Fenster streckte, rief ich aus: »Nein!«
    »Jetzt ist sie draußen. Ist nicht sonderlich groß, vielleicht einen halben Meter lang. Braun, hat einen flachen, spitzen Kopf.«
    »Eine mamushi .Der Biß ist normalerweise tödlich.« Ich war ganz zittrig. »Mein Gott, wie lange schlafe ich schon mit einer Schlange im selben Bett?«
    »Sechs Monate, wenn du deine Tante fragst.«
    »Ich finde das nicht witzig. Geh weg von dem Fenster. Ich will nicht, daß sie dich beißt«, sagte ich.
    »Ich möchte ihr doch bloß zuschauen. Hey, jetzt schlängelt sie sich grad an deinen Apfel-Birnen-Vorrat ran.«
    »Wie kannst du da bloß zuschauen?« Wenn ich weiter in dem Matchbeutel herumgekramt hätte, wäre ich vielleicht schon tot. Irgendwie fand ich die Schlange bedrohlicher als die Pfeile vom Vorabend – möglicherweise, weil ich Reptilien haßte und spitzen Stahlgegenständen gegenüber keinerlei Emotionen hatte.
    »Sch, da verschwindet sie durch ein Loch im Boden. Jetzt ist sie unterm Haus«, sagte Hugh.
    »Ich gehe wieder rein«, sagte ich voller Angst.
    Hugh folgte mir widerspruchslos und schob das Fenster hinter sich zu. Ich rollte mich auf dem Futon zusammen und beobachtete Hugh, der meinen Matchbeutel ausschüttelte. Schmutzige Kleidung fiel zusammen mit einer zerknitterten Plastiktüte, die zuvor nicht in dem Beutel gewesen war, auf den Boden. Als ich hineinschaute, sah ich ein bißchen schuppige Schlangenhaut darin.
    »Sieh dir an, wo die Einkaufstüte herkommt.« Hugh hielt sie an einer Ecke hoch. »Aus dem Union Supermarket. Derselbe Supermarkt, aus dem die größere Tüte stammt, in der gestern abend deine Sachen waren. Die Sachen, die deiner Meinung nach Akemi hergebracht hat.«
     
    Schon wenige Minuten später hatten wir das Teehaus mit meinem Gepäck verlassen. Wir mußten ungefähr zehn Minuten an der Hauptstraße entlanggehen, bis endlich ein Taxi kam. Am Bahnhof von Kamakura bestand Hugh darauf, Erste-Klasse-Tickets zu kaufen, und ich war noch so durcheinander, daß ich mich nicht dagegen wehrte. Als wir schließlich meine Sachen im Gepäcknetz verstaut hatten, waren alle Sitze belegt.
    Hugh blätterte in seiner Japan Times ,während ich aus dem Fenster starrte und mir die Vorfälle des Morgens zu erklären versuchte. Ich wollte einfach nicht glauben, daß Akemi mir die Schlange untergeschoben hatte, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, daß sie mich beim Bogenschießen als deutlich sichtbare Zielscheibe in die erste Reihe gesetzt hatte. Aber trotzdem war Akemi der kräftigste und sportlichste Mensch, den ich je kennengelernt hatte. Sie konnte ohne Probleme einen Mann erwürgen oder eine Schlange fangen, daran bestand kein Zweifel.
    Der andere mögliche Täter war Wajin. Er verstellte sich gern, war mir ein bißchen unheimlich und interessierte sich viel zu sehr für das, was ich im Tempel machte. Und selbst wenn er kein Spitzensportler war, hatte er doch mehr Kraft, als die meisten Menschen dachten.
    Die Einkaufstüten vom Union Supermarket ließen mich auch an Miss Tanaka denken, die sämtliche Besorgungen für die Mihoris erledigte. Sie hatte meine Wäsche, die zusammen mit Akemis Sachen auf der Leine hing, stirnrunzelnd betrachtet – wußte sie seitdem, daß ich mich im Teehaus aufhielt?
    Das Handy klingelte, und die Pendler um uns herum sahen uns ein wenig verärgert an. Hugh holte das Telefon aus seiner Brusttasche.
    »Bitte geh nicht ran«, sagte ich.
    »Es könnte was Geschäftliches sein«, sagte er und meldete sich mit: »Hugh Glendinning.« Nach ein paar Sekunden unterbrach er die Verbindung. »War niemand dran. Vielleicht ist der Anrufer ja nur sehr schüchtern.«
    »Natürlich«, sagte ich sarkastisch. »Das passiert ständig.«
    »Gut, dann lasse ich eben die Nummer ändern«, sagte Hugh, steckte das Handy ein und reichte mir die Zeitung.
    »Nicht jetzt, danke.« Ich wollte noch ein bißchen über Miss Tanaka nachdenken.
    »Ist dir übel? Das ist entweder der Hunger oder … wie schnell kann’s mit der morgendlichen Übelkeit eigentlich losgehen?«
    »Hör auf damit!« Ich hatte die ganze Zeit versucht, Gedanken an seine Spermien, die sich fröhlich in meinem Bauch tummelten, zu verdrängen.
    »Fühlst du dich irgendwie anders?« bohrte Hugh weiter. »Manche Frauen spüren gleich was.«
    »Klar fühle ich mich anders. Schließlich hat jemand in den vergangenen zwölf Stunden zweimal versucht, mich umzubringen. Und du machst mir jetzt auch noch

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