Zug der Traeume
weiß nicht, was ich tun soll.
Ich gebe ihn in die Suchmaschine ein.
Tyler Janssen hat die Universität von Wisconsin – Green Bay besucht. Seinen Master in Geschichte hat er an der Marquette-Universität gemacht. Er arbeitet in Teilzeit als Fotoarchivar im National Railroad Museum und hat einmal viele Wochenenden damit verbracht, selbst hergestellte Kleidung zu tragen, durch den Staat zu reisen und Szenen aus dem Bürgerkrieg nachzustellen, obwohl er das jetzt wohl nicht mehr macht.
Er ist sieben Jahre jünger als ich.
Er lebt in einem Haus am Astor Park. Ich bin vorbeigefahren. Es ist ein hübsches Backsteinhaus in einer soliden Gegend der oberen Mittelklasse. Seinem Vater gehörte vielleicht mal ein Juweliergeschäft, doch es könnte auch jemand anders gewesen sein. Es gibt eine Menge Janssens in Green Bay.
Seine Mutter ist tot, aber sein Dad lebt noch. Er wohnt in dem Haus, in dem er aufgewachsen ist.
In der Highschool war er im Key Club, in der National Merit Society und der Theatergruppe.
Er postet in Foren für Reenactment-Schauspieler, Eisenbahnfreaks und Spezialisten für Fotorestauration. Er ist freundlich und hilfsbereit. Und hat sich im Internet nie danebenbenommen.
Alle acht seiner ursprünglichen Profile bei der Partnerbörse sind noch aktiv, außerdem noch ein paar andere, die ich noch gar nicht gefunden hatte. Carl Froch, der Boxer. Yortuk Festrunk, den ich als einen der Brüder der »wild and crazy guys« aus den alten
Saturday-Night-Live
-Sketchen erkenne, als ich seine Rubrik
Was ich mag
lese:
Swinger Clubs, heiße Bräute, dicke amerikanische Brüste.
Ich habe mich in einen ziemlich heißen Fotoarchivar verliebt. Einen gewöhnlichen Green-Bay-Streber. Einen außergewöhnlich merkwürdigen Mann.
Aber das war mir vorher klar.
Er ist Mike Brady, nur besser aussehend und mit hellerem Haar. Sein Hemd ist weiß, weit aufgeknöpft und mit Schmetterlingskragen. Es ist mit den abscheulichsten geometrischen Figuren in Braun, Orange und Gold bedruckt.
Er hat sich Koteletten stehen lassen.
Koteletten.
Ich habe im Internet ein Foto von ihm von vor ein paar Jahren gesehen, auf dem er einen Backenbart hatte, in einem Bürgerkriegslager bei Prairie du Chien.
Jetzt bin ich offiziell seine Cyber-Stalkerin.
An diesem Septemberabend ist es ungewöhnlich heiß und stickig in dem leeren Waggon. Wir sind in einem der Züge draußen, der einsam am Ende des Geländes steht. Wir tun, als wären wir Fahrgäste, Fremde im Zug. Tun, als wäre Tag, als hätten wir 1977. In der Luft hängt schwer sein billiges Eau de Cologne. Herb, denke ich. Es riecht fürchterlich. Im Dämmerlicht der draußen angebrachten Sicherheitsbogenlampe liest er
Octopussy
.
Ich bin ein Mädchen im Minikleid. Hohe schwarze Stiefel, kurzer schwarzer Rock, das Haar am Hinterkopf hochtoupiert, glatt darübergekämmt und die Spitzen zu Locken gedreht wie bei Mary Tyler Moore. Ich weiß nicht mal, wen ich heute eigentlich darstellen soll. Irgendeine berufstätige junge Frau. Irgendeine Rhoda, die an die Freiheit der Frau und offene Beziehungen glaubt.
Er ist ein Gebrauchtwagenhändler mit brauner Polyesterhose, und ich will ihn so sehr, dass ich schon ganz zappelig bin.
»Hast du ein Problem?«, fragt er mich. Er klingt ein bisschen nach New York, ein bisschen nach Jersey. Ein bisschen arrogant und fies, wie Travolta in
Saturday Night Fever.
»Allerdings. Ich will gefickt werden.«
Na klasse. Damit wären wir mitten im Porno. Er schleudert mir ein Playboy-Grinsen zu, und mir fällt wieder ein, was er an jenem ersten Abend gesagt hat.
Du kannst sein, wer du willst. Hauptsache, du bleibst in der Rolle.
Heute Abend ist meine Rolle offensichtlich die eines billigen Flittchens in einem billigen Streifen.
»Könnte sein, dass ich dir da weiterhelfen kann.«
Schamlos starre ich auf die Ausbeulung im braunen Polyester. Auf seinem Hosenschlitz sind kleine orangefarbene Pfeile aufgestickt, die nach innen zeigen, als wollten sie sagen:
Hier geht’s zu meinem Prachtstück.
Ernsthaft: Wo treibt er bloß diese Klamotten auf? Er muss noch mehr Zeit darauf verwenden als ich, und ich stecke schon peinlich viel Mühe hinein.
Streber
, denke ich liebevoll.
»Du meinst, du hast das, was ich brauche, da drin?«
»Darauf kannst du Gift nehmen, Baby.«
»Dann hol ihn raus.« Wenn ich einen Kaugummi hätte, würde ich ihn knallen lassen. Wenn ich lange, manikürte Fingernägel hätte, würde ich sie polieren. »Ich will sehen, ob du nicht nur angibst,
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