Zug um Zug
Hieß der Abteilungsleiter Schuhmann?
Schmidt: Nein. Horst Schulmann, ein wunderbarer Kerl, ein erstklassiger Ökonom mit großem internationalen Ruf in der damaligen Zeit. – Sie haben eben Bernd von Staden erwähnt. Das war der Leiter der Abteilung Außen- und Sicherheitspolitik. Haben Sie den in Erinnerung?
Steinbrück: Ja, zumal seine Tochter am Amos-Comenius-Gymnasium in Godesberg Schülerin meiner Frau war und sie nicht weit von uns entfernt wohnten. Aber noch mehr habe ich Hans Otto Bräutigam in Erinnerung. Der war der Leiter Ihres deutschlandpolitischen Stabs.
Schmidt: Der muss noch leben. Berndt von Staden lebt auch noch, der ist ein, zwei Jahre jünger als ich, aber gesundheitlich schlechter dran. Bräutigam kann höchstens achtzig sein. Ein sehr tüchtiger Jurist, gleichzeitig begabt mit allen Eigenschaften, die man einem guten Diplomaten wünschen möchte.
Steinbrück: Absolut. Ich habe das mitgekriegt, als ich Büroleiter bei Rau war und wir zur Leipziger Messe fuhren. Am Eingang waren DDR-Bürger, die Rau eine Petition überreichen wollten, erkennbar von der Stasi zusammengeschlagen und verhaftet worden. Nach dem Messerundgang und vor dem Termin mit Honecker brachte man uns in ein Gebäude, wo klar war, dass wir abgehört wurden. Da stand Bräutigam auf, stellte sich mitten in den Raum, machte eine Bewegung, dass wir alle den Mund halten sollten, und schoss ein Feuerwerk ab, wie skandalös das alles sei. Herr Ministerpräsident, das können Sie sich nicht gefallen lassen, dass vor Ihren Augen DDR-Bürger zusammengeschlagen werden von der Stasi. Das ist ein Abreisegrund, das ist inakzeptabel. Sie werden das Gespräch mit Herrn Honecker nach meiner Empfehlung sofort auf die Verhafteten lenken müssen und als Vorbedingung für die Fortsetzung des Gespräches deren sofortige Freilassung und Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland fordern. Das machte Rau, und genau so geschah es. Alle Verhafteten kamen raus und waren 24 Stunden später in der Bundesrepublik. Bräutigam wusste genau, dass das Gespräch abgehört und natürlich sofort Honecker übermittelt wurde.
Schmidt: Ich habe Bräutigam in sehr guter Erinnerung.
Steinbrück: Er wurde nachher auf Empfehlung von Johannes Rau als Parteiloser Justizminister bei Manfred Stolpe in Potsdam.
Schmidt: Stolpe ist ein Stichwort, und Honecker ist ein anderes, das mich darauf bringt, dass wir eigentlich ein paar Worte wechseln sollten über die Art und Weise, wie gut oder wie schlecht die geistige und psychische Integration der beiden Teile der deutschen Nation nach 1989/90 bewältigt wurde. Ich habe zum Beispiel mit großer innerer Missbilligung gesehen – und manchmal habe ich das auch laut gesagt –, dass sich alle auf die ehemaligen SED-Leute gestürzt haben; die Blockflöten blieben völlig unbehelligt und waren in manchen Fällen die schlimmeren Opportunisten. Heute stürzen sie sich ausschließlich auf Leute, die irgendwann der Stasi irgendwas zugetragen haben, als ob diese kleinen Beamten die eigentlichen Übeltäter gewesen wären.
Ich will in dem Zusammenhang bekennen, dass ich sogar ein bisschen Mitgefühl empfunden habe für den Erich Honecker. Aus zwei Gründen. Zum einen, weil er ein ganz »armes Schwein« war. Er wusste nie, was Moskau letzten Endes beschließen wird, und solange Moskau nichts beschlossen hatte, wusste er nicht, ob er dieses darf oder jenes muss. Er war absolut abhängig und hatte keinen Durchguck. Noch 1989 hat er sich eingebildet, was da in Russland stattfindet, ist nur ein Tapetenwechsel, die Wände bleiben alle stehen. Er hat sich auch eingebildet, die DDR sei unter den Industriestaaten der Welt die Nummer 7. Er ist völlig irregeführt worden von Günter Mittag, der war für ihn eine Autorität. Das Zweite, was mich für ihn eingenommen hat, war, dass er seinen kommunistischen Jugendidealen in all den Jahren der Nazizeit im Gefängnis treu geblieben ist. Ansonsten ein ganz mittelmäßiger Mensch ohne Urteilskraft und eigentlich unbedeutend. Trotzdem kann ich mich nicht beteiligen an der allgemeinen Verächtlichmachung dieses Menschen.
Steinbrück: Über den Umgang der SPD mit SED-Mitgliedern einschließlich der kleinen Lichter, die auch als Stasizuträger unterwegs waren, kann man streiten. Wahrscheinlich haben wir Fehler gemacht. Aber man muss sich die damalige Situation vergegenwärtigen. Für die Sozialdemokraten, die im Oktober 1989 die SDP in der DDR gründeten –
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