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Zug um Zug

Zug um Zug

Titel: Zug um Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt / Peer Steinbrück
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Merkel eine in Ostdeutschland aufgewachsene und dort sozialisierte Frau an der Spitze des vereinigten deutschen Staates steht – kann man sagen, dass das der psychischen, der seelischen Vereinigung in erheblichem Maße genützt hat? Oder hat sich das überhaupt nicht ausgewirkt?
    Steinbrück:   Doch, das hat genützt. Es ist, glaube ich, ein wichtiges Signal der Normalisierung im Binnenverhältnis gewesen. Aus dem gleichen Grund hätte übrigens die Umzugsentscheidung nach Berlin gar nicht anders ausfallen dürfen. Das ist nicht messbar, aber ich glaube schon, dass beides eine Rolle gespielt hat. Aber ich muss an dieser Stelle auch wiederholen: Ich bin ziemlich entsetzt, dass ich von der Bundeskanzlerin in den letzten zwölf Monaten nicht eine einzige leidenschaftlich vorgetragene pro-europäische Rede gehört habe, nicht eine einzige. Nur abgelesene Regierungserklärungen, die sich verloren haben.
    Schmidt:   Diese Rede kann sie deswegen nicht halten, weil die Leidenschaft für Europa ihr nicht innewohnt.
    Steinbrück:   Richtig, und es ist eine spannende Frage, ob sie ihr deshalb nicht innewohnt, weil sie in der DDR sozialisiert worden ist und ihr das Projekt Europa von daher vielleicht fernersteht als einem westdeutschen Politiker, der das immer verfolgt oder sogar aktiv betrieben hat.
    Schmidt:   Ich würde die Vermutung teilen, dass ihre Sozialisation eine wichtige Rolle spielt.
    Steinbrück:   Die wichtigste pro-europäische Rede auf Regierungsseite in den letzten Monaten hat Wolfgang Schäuble gehalten. Das war eine Rede, die längst von der Bundeskanzlerin hätte kommen müssen, um dem breiten Publikum zu erklären, welchen Stellenwert dieses Europa für uns und unsere Zukunft hat.
    Schmidt:   Der Unterschied zwischen Schäuble und Merkel in dieser Beziehung hängt wohl damit zusammen, dass Schäuble eben im Westen und in der Nachfolge Adenauers aufgewachsen ist.
    * * *
    Steinbrück:   Das Thema, das wir uns für diese Runde vorgenommen haben, lautet Politikvermittlung: Wie bringen wir politische Inhalte an die Wählerinnen und Wähler? Wie machen wir das, was wir politisch für notwendig und richtig halten, auf überzeugende Weise glaubwürdig? Ich stelle fest, dass die Medienberichterstattung über Politik zunehmend personenfixiert ist, und erinnere an den Fall Guttenberg. Er hat dieses Bedürfnis nach einer personenfixierten politischen Berichterstattung vollständig ausgefüllt. In dem Augenblick, in dem er gescheitert ist – an sich selbst, wie ich glaube, an seinem Selbstbild, nämlich an der Art und Weise, wie er mit der Plagiatsaffäre umgegangen ist, vielleicht nicht einmal an dem Plagiat selbst –, in dem Moment ist ein mediales Vakuum entstanden.
    Schmidt:   Mein Gefühl ist, dass es einen hohen Bedarf an Seriosität und Substanz gibt, und das spiegelt sich wider in der Aufmerksamkeit, die Sie finden, Peer. Das seriöse Publikum hat genug von der ewig sich wiederholenden Politikshow. Die fing übrigens nicht mit Guttenberg an, sondern mit den beiden FDP-Häuptlingen Möllemann und Westerwelle. Alle drei: hohe Intelligenz, hohes Geltungsbedürfnis – Substanz zweifelhaft.
    Steinbrück:   Es kann ja beides richtig sein. Es kann sein, dass es eine größere Sehnsucht nach Substanz und Erfahrung gibt, aber es gibt eben auch das Bedürfnis nach einer erkennbaren Persönlichkeit. Das ist ja das Gegensatzpaar, das in den USA immer genannt wird: face and substance. Beides kommt nur selten zusammen. Das ist auch einer der Gründe, warum Politiker außer Dienst wie Sie und Richard von Weizsäcker und zunehmend übrigens auch Joschka Fischer im Ansehen der Bevölkerung nach wie vor einen extrem hohen Stellenwert haben. Allerdings, wie ich hinzufüge, auch immer wegen der Aura einer parteiübergreifenden Rolle.
    Schmidt:   Das ist ganz gewiss richtig. Richard Weizsäcker wird vom deutschen Publikum nicht als Exponent der CDU/CSU aufgefasst, und ich werde nicht aufgefasst als Sozi. Das gilt in zunehmendem Maße auch für Joschka Fischer, der nicht aufgefasst wird als ein typischer Exponent der Grünen. Da steckt ein klein bisschen dieses Gefühl dahinter, das viele Menschen in unserer Gesellschaft haben: Parteien sind im Grunde etwas Unangenehmes. Und sie sind eigentlich ganz zufrieden, wenn ihnen jemand den Eindruck vermittelt – ob es richtig ist oder nicht –, dass er über diesen Parteilichkeiten und über diesen parteiegoistischen Taktierereien steht.
    Steinbrück:   Ja,

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