Zug um Zug
führt dann dazu, dass manche dieser Minister sich auf ein persönliches Küchenkabinett konzentrieren, weil sie das Verwalten nicht gelernt haben. Das gilt auch für die gegenwärtige Bundeskanzlerin.
Steinbrück: Ich will versuchen, Helmut, mich dem Thema Parteien aus Sicht der SPD zu nähern. Die SPD hat den gesellschaftlichen Wandel der letzten zwei Jahrzehnte noch nicht ausreichend aufgearbeitet. Die Gesellschaft wird zunehmend pluraler, individualistischer, bunter; klassische Sozialmilieus lösen sich auf. Die Grünen reflektieren diese Pluralität und diesen Individualismus im Augenblick stärker als die altbundesrepublikanischen Parteien. Deshalb scheinen sie mir im Augenblick eine Art Projektionsfläche dieser geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse zu sein. Die Grünen gelten als bunt, vielfältig, da tobt das Leben; da sind vor allem Jüngere gern dabei, denen es in den Ortsvereinen der SPD zu langweilig ist. Man darf allerdings nicht übersehen, dass die Grünen eine klassische Wohlstandspartei sind, überrepräsentiert bei den höheren, gutsituierten Einkommensbeziehern und in den Etagen des öffentlichen Dienstes. Dementsprechend stehen die Interessen der Industriearbeiterschaft, Probleme wie die Spaltung des Arbeitsmarktes oder der Umgang mit den Verlierern der wirtschaftlichen Beschleunigung bei ihnen nicht im Vordergrund.
Im Zusammenhang mit dem Aufkommen der Grünen erinnere ich mich an eine Aussage von Franz Josef Strauß, die Johannes Rau gern zitierte. Sie beide hätten eine gemeinsame Verantwortung: Er, Strauß, habe als CSU-Parteivorsitzender die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass es keine Partei rechts von der CSU gebe. Und Rau habe für die SPD die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es keine Partei links von der SPD gebe. Als dann die Grünen auftauchten, verortete Strauß sie natürlich links von der SPD und meinte, die SPD habe darin versagt, dafür Sorge zu tragen, dass das Parteienspektrum intakt blieb. Ob die Grünen wirklich links von der SPD stehen, darf allerdings nicht nur mit Blick auf die jüngste Entwicklung in Baden-Württemberg bezweifelt werden.
Schmidt: Das Emporkommen der Grünen war meines Erachtens kein Fehler der SPD, auch kein Fehler der anderen damaligen politischen Parteien, sondern eine zwangsläufige Entwicklung. Überall in Kontinentaleuropa – mit leichten Abweichungen wie zum Beispiel der Fünfprozentklausel in Deutschland – gilt das sogenannte Verhältniswahlrecht. Selbst mit der deutschen Fünfprozentklausel kann man sich theoretisch einen Bundestag vorstellen, in dem 19 Fraktionen vertreten sind: Jede hat 5,1 Prozent, macht zusammen einige neunzig. Das heißt: Verhältniswahlrecht führt zu einem Vielparteienparlament, ob in Rom oder in Paris oder in Den Haag – überall. Es war eine deutsche Ausnahme, dass in den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg trotz Verhältniswahlrechts das politische System sich zeitweilig konzentriert hat auf drei Parteien – zeitweilig. Aber wenn Sie nachgucken, wie viele Parteien 1953 oder 1957 oder 1961 gleichzeitig kandidiert haben, dann stoßen Sie auf eine große Zahl. Die Attraktionskraft der beiden großen Parteien und der FDP – weniger als halb so groß – hing im Wesentlichen mit den Personen an der Spitze zusammen. Und sie hing zusammen mit dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika – zwei große Parteien. Das geht aber mit dem Verhältniswahlrecht nicht auf Dauer. Das Verhältniswahlrecht führt früher oder später zwangsläufig zu vielen Parteien, und die Grünen sind eine davon.
Steinbrück: Im Moment profitieren sie davon, dass ihnen aus allen altbundesrepublikanischen Parteien Wähler zuströmen. In der CDU/CSU gab es schon vor dreißig oder vierzig Jahren Menschen, die primär an der Erhaltung der Schöpfung interessiert waren, und die finden ihren ökologischen Anspruch inzwischen bei den Grünen besser aufgehoben als bei der CDU/CSU. Bei der FDP sind einige, die sagen: Ich lass mir den Liberalismusbegriff nicht reduzieren auf Steuersenkungen, dazu gehören vor allem auch Bürgerrechte und Bürgerfreiheit, und das sehe ich besser repräsentiert bei den Grünen. Und bei der SPD sind einige, die sagen: Ich möchte den Gedanken des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit weiterhin gerne repräsentiert sehen, aber ohne die Gewerkschaftsbindung der SPD. Und so haben die Grünen Zulauf aus allen Parteien.
Wenn die Grünen es richtig anstellen,
Weitere Kostenlose Bücher