Zug um Zug
könnten sie dazu beitragen, dass die FDP marginalisiert wird. Meiner eigenen Partei rate ich deshalb stark, das Potenzial ihres Sozialliberalismus nicht zu vernachlässigen, sondern ihn als eine Wurzel herauszustellen und frustrierten FDP-Anhängern Angebote zu machen. Die SPD darf den Begriff »bürgerlich« nicht der CDU/CSU überlassen und den Begriff »liberal« nicht der FDP. Das ist einer der Gründe, warum ich den Kampfbegriff »neoliberal« meide, weil damit eine Preisgabe verbunden wäre. Mit »liberal« meine ich natürlich nicht den marktradikalen, ideologisch verbrämten Wirtschaftsliberalismus, sondern die vom Liberalismus geförderte Freiheitsidee. In den neunziger Jahren hat es übrigens eine gegenläufige Entwicklung gegeben. Da waren die Grünen ziemlich deprimiert über eine ganze Reihe von verlorenen Landtagswahlen, aber die damalige FDP hat es versäumt, den bürgerrechtsbewegten und ökologischen Teil der Grünen zu umwerben und an sich zu binden.
Schmidt: Das liberale Prinzip oder, anders gesagt, das Prinzip der Freiheit und der Freiheitsrechte der einzelnen Person hat sich im Laufe des letzten halben Jahrhunderts weit über die Grenzen der FDP hinaus in große Teile der CDU und in große Teile der Sozialdemokratie ausgebreitet. Das Prinzip der Menschenrechte zum Beispiel wird von allen Seiten heutzutage nicht nur akzeptiert, sondern aktiv vertreten. Das ist ein liberales Prinzip, vielleicht der Kern des liberalen Prinzips. Insofern ist eine Partei, die sich einbildet, ein Monopol auf Liberalität zu haben, heute von vornherein in einer ziemlich aussichtslosen Position. Wenn sie das Thema dann noch auf Steuerpolitik verengt, muss sie sich nicht wundern, wenn sie bei fünf Prozent krebst.
Steinbrück: Ich übertrage, was Sie gesagt haben, auf die Linkspartei: Eine Partei, die sich einbildet, ein Monopol auf soziale Gerechtigkeit zu haben, befindet sich in einer ziemlich aussichtslosen Position. Denn auch dieses Prinzip wird heutzutage von allen Parteien mehr oder weniger aktiv, mehr oder weniger glaubhaft vertreten. Es ist also kein Alleinstellungsmerkmal. Dass es in der Bundesrepublik bis 1989 keine wirkliche Linkspartei gab, hing mit der deutschen Teilung zusammen und mit dem real existierenden Sozialismus in der DDR. In den meisten anderen Ländern Europas war eine Linkspartei der Normalfall. Nach der Wiedervereinigung bildete die Nachfolgepartei der SED eine Art Auffangbecken für alle Unzufriedenen. Das war nicht verwunderlich, ebenso wenig, dass einige versprengte Linke und Linksextreme in Westdeutschland dazugestoßen sind und, wie ich gern zugebe, auch einige frustrierte SPD-Anhänger, Enttäuschte, in deren Augen die Agenda 2010 ein absoluter Rückfall gewesen ist. Ich halte die Linkspartei erstens vornehmlich für eine ostdeutsche Partei, und zweitens sehe ich sie, mit Blick auf ihre Aufstellung im Westen, bereits auf dem absteigenden Ast. Ihr personelles und inhaltliches Angebot ist einfach zu dünn. Ich rede mir innerhalb der SPD den Mund fusslig darüber, dass die Annahme, dort Wähler zu gewinnen oder zurückzugewinnen, mit denen man mehrheitsfähig werden könnte, dazu führt, dass in der volatilen Mitte der Gesellschaft, wo Wahlen nach wie vor entschieden werden, das Dreifache und Vierfache an Wählern verlorengeht.
Schmidt: Wobei das Phänomen Lafontaine, jedenfalls vorübergehend, auch eine Rolle gespielt hat.
Steinbrück: Ja, da spielte sehr viel Psychologie mit, auch auf seiner Seite. Sein damaliger Pressesprecher Torsten Albig, der später mein Pressesprecher wurde und jetzt Oberbürgermeister in Kiel ist, hat im März 1999 mitgekriegt, wie Lafontaine von heute auf morgen alles hinschmiss, völlig unkalkulierbar. Sein späteres Auftauchen in der Linkspartei war für mich eine Art Korrektur seiner damaligen Fehlentscheidungen. Es trieb ihn zurück auf die politische Bühne, wohl wissend, dass sein Platz nicht mehr in der SPD sein konnte, sondern dass er zur Profilierung geradezu ein Widerlager zur SPD bilden musste, wo er sowohl seine Begabung wie auch seine Eitelkeiten ausreizen konnte.
Schmidt: Dass er ein Talent ist, das ist zweifellos richtig. Eine andere Frage ist die nach seinem Charakter. Ich glaube, er hat manchmal Schwierigkeiten, selber vorherzusehen, was aus ihm werden soll. – Peer, bevor wir in Psychologie abgleiten, sollten wir den Blick über die Grenzen richten. Warum sind heute in so wenigen Ländern Europas sozialdemokratische und
Weitere Kostenlose Bücher