Zug um Zug
formulieren. Jemand hatte geklagt, dass die Erhebungsgrundsätze der Vermögensteuer das Vermögen an Grund und Boden und das Kapitalvermögen, sofern es sich um Beteiligungen oder Finanzinvestitionen handelt, völlig ungleich behandelten. Die Klage war berechtigt. Das Urteil war im Prinzip auch gerechtfertigt. Weltfremd war, dass das Urteil eine Klausel enthielt, die besagte, wenn nicht bis zum 31. Dezember des nächsten Jahres das Vermögensteuerrecht geändert ist, dann fällt die ganze Vermögensteuer weg. Diese Frist war viel zu kurz, und der Bundestag konnte sie nicht einhalten. Kirchhof hat weitgehend die Abschaffung der Vermögensteuer in Deutschland zu verantworten.
Steinbrück: Was nicht bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht eine Vermögensteuer prinzipiell für verfassungswidrig erklärt hat.
Schmidt: Richtig. Das ist übrigens derselbe Mann, von dem Schröder als dem »Professor aus Heidelberg« geredet hat. Und Frau Merkel war irrig beraten, sich diesen Mann als Finanzminister vorzustellen.
Das berührt übrigens ein verfassungspolitisches Problem, das in keiner der westlichen Demokratien gelöst ist, nämlich die Berufung der Obersten Richter. Die Berufung eines Verfassungsrichters geschieht in einem völlig undurchsichtigen Verfahren, das kein Außenstehender durchschauen und kontrollieren kann, einem sogenannten Richterwahlausschuss, der nach Parteienproporz zusammengesetzt ist. Das heißt, eine Handvoll Leute kungeln das untereinander aus. Dabei spielen ganz sicherlich Befähigung und bisheriger Lebenslauf eine Rolle, aber leider Gottes spielt auch die parteipolitische Orientierung eine Rolle, eine viel zu große Rolle.
Steinbrück: Das gilt für alle Obersten Gerichte in Deutschland, nicht nur für das Bundesverfassungsgericht, und es gilt übrigens auch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.
Schmidt: Das gilt für das Verfassungsgericht genauso wie für den Bundesgerichtshof oder für den Finanzhof. Es gilt übrigens auch, in anderer Weise, für den Supreme Court in Amerika. Der Präsident ist der Einzige, der Vorschlagsrecht hat, berufen tut der Senat. Das ist ein seltsames Verfahren. Es ist in Wirklichkeit nirgendwo überzeugend gelöst.
Steinbrück: Ich habe als Finanzminister unter einem Bundesverfassungsgerichtsurteil gelitten und war ziemlich angesäuert, weil mir Karlsruhe das Ding kaputt gemacht hat.
Schmidt: Worum ging es da?
Steinbrück: Es ging um die Abschaffung der Entfernungspauschale. Ich hatte die generelle steuerliche Anrechnung der Wegekosten zwischen Wohnort und Werkstor abgeschafft und stattdessen eine Härtefallregelung eingeführt für diejenigen, die lange pendeln müssen, über zwanzig Kilometer. Ich bin mit einer entsprechenden Gesetzesvorlage in den Bundestag gegangen, der Bundestag hat das Gesetz beschlossen, und dann hat das Verfassungsgericht mir den Boden dafür entzogen. Das empfand ich als einen Eingriff in die parlamentarische Budgethoheit, schließlich kann der Bundestag doch beschließen, wie er mit fiskalischen Fragen umgeht. Im Gerichtsurteil hieß es, die Bundesregierung habe zwar mit Zustimmung des Bundestages die Entfernungspauschale abschaffen dürfen, die Härtefallregelung aber habe einen willkürlichen Charakter. Damit war das Ding kaputt, und ich frage mich bis heute, was das für die zukünftige Abschaffung von Steuersubventionen bedeuten könnte, gegen die natürlich automatisch geklagt werden dürfte. Das war ein Urteil, das nach meinem Empfinden die Gestaltungskompetenz der Exekutive und Legislative in Steuerrechtsfragen einschränkte. Ich habe devot, mit gebeugtem Nacken, das Urteil entgegengenommen. Denn natürlich ist es nicht ratsam, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu kritisieren.
Schmidt: Das würde ich auch nicht tun. Ein Minister darf die Autorität des Gerichtes nicht beschädigen.
Steinbrück: Ja, da muss man sich beugen. Was ich dagegen kritisiere – wenn ich auf einen Seitenweg gehen darf –, das ist die gelegentliche Mitteilsamkeit von einigen Staatsanwaltschaften. Das geht inzwischen so weit, dass manchmal aus laufenden Ermittlungsverfahren Informationen an Presseorgane gegeben werden. An dem Tag, an dem morgens in aller Frühe bei dem ehemaligen Vorstandschef der Deutschen Post AG, Herrn Zumwinkel, wegen des Verdachtes auf Steuerhinterziehung eine Haussuchung stattfand, habe ich mich gefragt, wieso da fünf Fernsehkameras vor der Tür standen.
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