Zugzwang
erinnerte sich dunkel daran, was Kalle ihm in Schändlers Villa gesagt hatte: Der König hat dich gefunden und den Notarzt angerufen. König war alleine am Tatort und niemand hatte daran Anstoß genommen. Keiner hatte in dem Trubel hinterfragt, wieso der Staatsanwalt von dem Einbruch wusste. Sein Name tauchte in keinem der Protokolle auf. Das Vertrauen in Kollegen und Vorgesetzte war dermaßen groß, dass niemand sie wie normale Verdächtige behandeln würde.
Joshua sah sich in dem Raum um. Im Gegensatz zu Bönisch, der, wie sich herausstellte, an einem Heizungsrohr gefesselt war, konnte Joshua sich in dem Raum bewegen. Er stand auf und suchte nach Werkzeug. Das einzig halbwegs brauchbare fand er in einem der Regale. Es war eine sehr spitzzulaufende Schere. Er nahm sie und begann in dem Schloss seiner Handschellen zu hantieren.
»Werden i hre Leute uns hier finden?«
Seine Stimme klang verzweifelt. Joshua zuckte mit den Schultern und versuchte weiter, sich zu befreien.
29
»Till Eulenspiegel«, schrie Kalle. Holsten sah ihn immer noch perplex an. Kalle schlug sich erneut vor den Kopf.
»Till Eulenspiegel – Till Groding, na dämmerts?«
Joachim ging erneut um den Schreibtisch und sah über Kalles Schulter.
»Das ist eine Mitteilung an Skopje, Till Groding zu beseitigen. Groding sollte wegen Mordes eingebuchtet werden, Joshua glaubte nicht daran und fuhr noch mal zu ihm, um ihn festzunehmen. Trotzdem wollte er seine Unschuld beweisen und es wäre ihm auch gelungen.«
»Du meinst, Joshua ist Siegfried?«
»Genau. Schnelle Hilfe ist von Nöten, sie mussten ihn beseitigen, bevor er reden konnte. Der Drache ist ihre Organisation. Niemand soll sie töten.«
Jack stellte sich aufrecht und rieb sich die Haare.
»Das ist ja schön und gut. Aber der Absender. Wer ist dann jrc, wenn wir mal davon ausgehen, dass kein kleines Mädchen dort mitmischt?«
Kalle grinste ihn breit an. Darauf hatte er gewartet.
»jrc sind die Initialen für ›Jose Raoul Capablanca‹, dem Spitznamen Königs.«
Holsten pfiff anerkennend durch die Zähne. Er wollte gerade etwas sagen, als die Tür aufgerissen wurde und Daniel hereinstürzte. Er legte auch gleich los.
»Joshua ist in Gefahr! Wir müssen sofort los!«
»Wie kommst du darauf?«
Kalle sah ihn entgeistert an. So aufgeregt hatte er seinen Kollegen noch nie erlebt. Es musste eminent wichtig sein, denn Daniels Krawatte hing halb über seinem Jackett.
»Ich habe ihn angerufen. Er klang ganz komisch. Er sagte, sie hätten nichts gefunden, wie sie vermutet hatten.«
»Das hatte Joshua bestimmt nicht vermutet«, Jack begriff sofort, »los, ruf die anderen an. Das SEK verständigen wir von unterwegs.«
Kalles Frust war jetzt vollends einer euphorischen Laune gewichen. Den Gedanken, seinem Kollegen und Nora könnte etwas zugestoßen sein, verdrängte er sofort wieder. Hintereinander rief er Marlies, Viktor und die Kollegen vom LKA an. Als er auflegte, bemerkte er erst, dass er alleine im Büro war. Kalle schnappte sich seine Jacke vom Stuhl und rannte los.
Elsing begriff zuerst überhaupt nichts, faselte dauernd von Berichten. Erst als Jack ihm von ihrem Verdacht gegen König berichtete, verstummte er. Jack konnte förmlich spüren, wie Elsings Puls hochschoss. Er dachte darüber nach, wie sehr Joshuas Chef seine dienstlichen Anweisungen mit König abglich. Hatte er von den Machenschaften des Staatsanwaltes gewusst? König würde reden, davon war der LKA-Mann überzeugt.
Das SEK versprach, in zwanzig Minuten mit dem Hubschrauber in Kamp-Lintfort zu sein. Er klärte Daniel über Kalles Erfolg auf. Dieser rümpfte die Nase und nestelte an seiner Krawatte.
»Wenn diese E-Mail der einzige Beweis gegen König bleibt, sehe ich aber schwarz.«
»Er wird uns erklären müssen, was er dort mitten in der Nacht macht«, plötzlich kam Jack ein ganz anderer Gedanke.
»Ich frage mich, was mit Nora ist? Zwei Kripoleute überwältigt man doch nicht so einfach.«
30
Joshua hatte die Spitze der Schere auf dem Fußboden mühselig zurechtgebogen und stellte zufrieden fest, wie sie den Schließmechanismus bewegte. Mit äußerlicher Ruhe und Geduld versuchte er es weiter. Immer wieder rutschte die Spitze ab. Endlich packte sie und seine Hände waren frei. Sofort rannte er zu Bönisch herüber, hielt aber gleich wieder inne. Was würde er mit Bönisch machen, wenn dieser frei war? Er musste das Risiko eingehen. Bönisch kannte sich in diesem Gebäude exzellent aus und dürfte zudem kein
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