Zugzwang
vergrub das Gesicht in den Händen, als Rudolf Krieg hereinkam. Krieg war Buchhalter und der mit Abstand älteste Mitarbeiter der Firma. Im kommenden Jahr würde er in Rente gehen. Er setzte sich langsam in den großen schwarzen Ledersessel seinem Chef gegenüber. Baker nahm seine Hände herunter und lehnte sich zurück. Krieg sah ihn an wie ein Beagle, dem man den Fressnapf weggezogen hatte. Der Buchhalter faltete seine Hände wie zum Gebet und beugte sich vor.
»Was machen wir jetzt. Ich meine, hast du schon eine Erklärung für die Sache. Da ist doch was faul, oder?«
Baker schüttelte stumm seinen Kopf und sog seine Lungen voll.
»Ich habe dir direkt gesagt, das mit der Bilanz ist gefährlich. Jetzt hänge ich mit drin. So kurz vor der Rente. Niemals habe ich mir was zuschulden kommen lassen und jetzt …«
Baker schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und schrie ihn an.
»Jetzt hör auf zu heulen, verdammt noch mal. Oder hattest du etwa Gewissensbisse, als du den Benz bekommen hast? Was hätten wir denn machen sollen? Wer zum Teufel hätte uns mit deiner Bilanz denn einen Kredit gegeben? Oder hätten wir drei Jahre Forschungsarbeit in den Wind schießen und die Firma schließen sollen?«
Krieg bekam kleine Flecken im Gesicht. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Nervös zupfte er an seiner Brille. In Gedanken schien er sich bereits im Gefängnis zu sehen. In dem Moment klopfte es und eine schlanke junge Frau mit langen kastanienroten Haaren stand halb in der Tür.
»Entschuldigung, Herr Baker. Ein Kommissar Stauder ist da. Er sagt, er hätte einen Termin mit Ihnen.«
Krieg sank in seinem Sessel zusammen. Calvin machte ihm gegenüber eine Andeutung, dass er gehen solle.
»Bitte ihn herein, Melanie.«
In der Tür wäre der Kommissar beinahe mit dem Buchhalter zusammengestoßen. Im letzten Moment wich Krieg aus und bat den Polizeibeamten mit einer einladenden Armbewegung hinein.
Der Kommissar folgte Bakers Einladung und nahm ihm gegenüber Platz. Nach einigen höflichen Floskeln kam Stauder zur Sache.
»Herr Baker, uns liegt eine Anzeige wegen Kursbetruges gegen Ihre Firma vor. Unsere Experten haben die Sache überprüft und die Staatsanwaltschaft hat den Anfangsverdacht als gegeben angesehen. Daher muss ich ermitteln.«
Der gertenschlanke, etwa einsneunzig große Kriminalbeamte zog ein Papier aus der Hemdtasche und entfaltete es. Sein rechter Zeigefinger wies eine leichte nikotingelbe Verfärbung auf. Seine Haut schimmerte gräulich.
»Tja, also Herr Baker. Wie erklären Sie sich die Tatsache, dass Ihre Aktien innerhalb einer Woche um fast siebenhundert Prozent gestiegen sind und dann in wenigen Stunden um etwa den gleichen Prozentsatz absanken?«
Baker lehnte sich entspannt zurück, breitete seine Arme weit aus und antwortete seinem Gegenüber in einem fast arrogant anmutenden Tonfall.
»Gar nicht, Herr Kommissar. Wir haben nicht die geringste Erklärung dafür. Das ist die Wahrheit.«
Stauder sah ihm eine lange Minute wortlos in die Augen.
»Aber es ist schon so, dass Sie der Geschäftsführer von BioPharmaca sind, oder irre ich mich da?«
Calvin wusste ganz genau, wie unglaubwürdig seine Aussage klingen musste. Er hatte nicht erwartet, dass er sie ihm abnahm.
»Ja, natürlich. Trotzdem ist es so, wie ich es Ihnen gesagt habe. Es gab weder Übernahmegerüchte noch den geringsten Hinweis darauf, dass unser neues Medikament in Kürze zugelassen würde oder sonst irgendetwas, was den Kurs unserer Aktien dermaßen hätte beeinflussen können. Wir zerbrechen uns selber den Kopf darüber, das können Sie mir glauben, schließlich geht es um die Existenz der Firma. Kurz bevor der Kurs in die Höhe ging, hat die Westhypo uns sogar auf underperform eingestuft. Eine gegenteilige Kursentwicklung wäre also normal gewesen.«
Stauder zückte einen Notizblock und entfernte umständlich den darin eingeklemmten Kugelschreiber.
»Wer hat hauptsächlich davon profitiert. Ich meine, hat ein Großaktionär Kapital daraus geschlagen?«
Calvin Baker ging zur Schrankwand und nahm eine Karaffe und zwei Gläser zum Schreibtisch mit. Der Kommissar winkte sofort ab, Calvin schüttete sich einen Orangensaft ein.
»Daran haben wir sofort gedacht. Nein. Wir haben ein Dutzend Anleger außerhalb der Firma, die einen größeren Anteil halten. Zusammen fünfundvierzig Prozent. Die meisten haben ihre Aktienpakete nach wie vor und steigen uns natürlich genauso aufs Dach. Eine Sache ist besonders
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