Zugzwang
auf den Tisch. Vor wenigen Stunden wollten sie hier noch zu viert sitzen und zu Abend essen. Wäre er doch bloß nicht so egoistisch gewesen. Sofort versuchte er, seine aufkommenden Schuldgefühle zu verdrängen. Sie durften keinen Platz in seinem Inneren finden. Seine Lage war ohnehin verkorkst genug. Joshua dachte an die menschenverachtende Brutalität, mit der die Täter zu Werke gingen. Er versuchte sich ein Motiv für solche Taten vorzustellen. Sein Blut schien sich zu erhitzen. In seinen Gedanken projizierte sich ein grinsender Mann, der mit der Waffe in der Hand vor ihm stand. Bereit dazu, ein Menschenleben auszulöschen, ohne mit der Wimper zu zucken. Einfach so, weil es seinem Zweck diente. Sein Gesicht war verschwommen, nur sein Grinsen konnte man erahnen. Joshua versuchte, hinter diesen Nebel zu sehen, jemanden zu erkennen. Er fühlte, wie sein Körper damit begann, Adrenalin zu produzieren.
Er hielt es nicht mehr aus und sprang hoch. Im Keller zog er sein Hemd aus und ließ es auf einen alten Stuhl fallen. Mit brachialer Gewalt schlug er zu, immer und immer wieder. Der mächtige Sandsack wedelte leicht hin und her. Joshua ließ ihn nicht auspendeln. In einem wilden Stakkato hämmerte er mit beiden Fäusten auf ihn ein. Schweiß rannte in kleinen Rinnsalen über seine Brust. Besinnungslos schlug er weiter zu und begann dabei zu tänzeln. Sein Verstand war einzig und alleine damit beschäftigt, seine Motorik zu kontrollieren. Die Haare klebten auf der Stirn, die Atmung wurde schwerfälliger. Immer noch ließ die Intensität seiner Schläge keinen Deut nach. Sein Unterbewusstsein schien abgeschaltet. Benommen starrte er mit leerem Blick auf den pendelnden Sack. Nach einer Viertelstunde setzte Joshua, einen lauten Schrei ausstoßend, seinen letzten Schlag. Völlig erschöpft klammerte er sich an den Sandsack. Total ausgepowert ging er in den Vorratskeller und holte sich eine Flasche Bier. Ermattet sank er auf einen Stuhl und trank sie in einem Zug leer. Er fühlte sich immer noch schuldig. Erneut suchte er den Vorratskeller auf. Diesmal nahm er drei Flaschen mit.
Das tote Gesicht von Groding erschien vor seinen Augen. Die junge hübsche Rosalinde Schändler, für deren Tod er verantwortlich war. Gierig zog er an der Flasche. Seine Augen wurden feucht. Sein Kreislauf quittierte die schnelle Alkoholaufnahme mit Schwindel. Es gab keine Ablenkung, er musste da durch. Er dachte daran, dass seine Tochter nur ein paar Jahre jünger war. Sie hatte ihm vertraut. Jetzt brachen alle Dämme, er stützte sein Gesicht in seine offenen Hände und weinte hemmungslos.
Es war schon tief in der Nacht, als Joshua endlich in den Schlaf fand. Immer wieder wachte er schweißgebadet auf. Die Albträume zerrissen seine Seele. Um fünf kam er endlich zur Ruhe und schlief noch eine Stunde, bis der Wecker ihn in die Wirklichkeit zurückholte.
Frisch geduscht erschien Joshua in der Küche. Sein Vater hatte ein Frühstück vorbereitet und extrastarken Kaffee gekocht. Joshua fühlte sich nicht sehr wohl. Sein Mund war ausgetrocknet. Die schrecklichen Träume drangen wieder in sein Bewusstsein. Immer wieder tauchte das Bild der jungen Rosi auf. Zwischendurch starrte Till Groding ihn mahnend an, mit einem Strick um den Hals und ohne Augen. Wie musste Janine sich fühlen? Seit Jahren verfolgten sie Albträume. Immer wieder, wenn er nicht pünktlich nach Hause kam und mal wieder vergaß, sie anzurufen.
Er hatte keinen Appetit. Sein Vater hatte Brötchen aufgebacken und sah ihn mitleidig an. Er sagte nichts. Gunther Trempe spürte, wie sein Sohn sich jetzt fühlte. Joshua trank noch eine zweite Tasse Kaffee und drehte sich eine Zigarette.
»Möchtest jetzt den Fall am liebsten alleine lösen, stimmt’s?«
Joshua zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte sein Vater Recht. Am liebsten würde er jetzt losfahren und den Mörder finden. Ohne zu ruhen, Tag und Nacht würde er ihn jagen, bis er ihm gegenüberstände. Aber das war aussichtslos. Joshua stand auf und verabschiedete sich von seinem Vater. Er nahm seine abgewetzte Lederjacke vom Haken und schlenderte zum Auto. Kurz vor seinem Wagen bemerkte er, dass das Tor zu der Scheune halb offen stand. Er blickte hinein. Im Dämmerlicht, das durch einige kleine verdreckte Fenster einfiel, erkannte er sein altes Motorrad. Eine Moto Guzzi California, sein Jugendtraum. Seit dreizehn Jahren stand sie hier und wurde kaum bewegt. Er brachte es nicht übers Herz, sie abzugeben. Wenn David und Britt
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