Zuhause in Gott
Krankenhaus und hatte mitbekommen, wie die drei letzten ähnlich gelagerten Fälle auf der Intensivstation landeten. Ich wusste, was an Behandlung nötig war, und dass ich sie JETZT brauchte.
Obwohl es mir ziemlich schlecht ging, versuchte ich die Sache selbst in die Hand zu nehmen und meine unwilligen Kollegen dazu zu bringen, mich ernst zu nehmen. Doch das Ganze entwickelte sich zu einer schwarzen Komödie der Irrtümer. Die Kollegen verschleppten die Dinge, glaubten mir nicht, stellten eine Fehldiagnose, vernachlässigten mich und verabreichten mir zu hohe Medikamentendosen, was dazu führte, dass sich die Windpocken in schlimmer Weise ausbreiteten und meine Lungen infizierten.
Stets wachsam und achtsam, wie sie nun mal waren, hielten es meine Kollegen, nachdem ich blau angelaufen war, für angebracht, meinen Sauerstofflevel zu überprüfen, und schnappten geschockt nach Luft, als das Oximeter 64 Prozent anzeigte. Dann brach die Hölle los, da niemand verstehen konnte, warum ich nicht schon tot war.
Ich wurde eilig durchs Krankenhaus und in den Operationssaal gekarrt, während mir ein Anästhesist mit Grabesstimme ins Ohr flüsterte: »Ihre Blutwerte sind katastrophal. Wir werden Ihr Baby holen müssen, um Ihr Leben zu retten. Verstehen Sie, was ich Ihnen sage?« Offensichtlich sagte ich nichts, aber ich erinnere mich deutlich daran, ihn zumindest innerlich angebrüllt zu haben: »Natürlich weià ich verdammt gut, was du mir sagst. Ich habâs euch schon vor einer Woche gesagt, ihr Haufen inkompetenter Schwachköpfe!«
Dann fielen binnen Sekunden mindestens zehn Mitarbeiter über mich her. Sie zerrten, drückten, pieksten und rissen in panischer Vorbereitung eines Kaiserschnitts an mir herum. Noch nie zuvor hatte ich so schreckliche Angst oder eine so tiefe Ãberzeugung empfunden, dass »es das gewesen war«. Mein Ãberlebensdrang war so stark, dass es mir vollkommen egal war, als sie den Herzschlag meines Babys nicht mehr ausfindig machen konnten. »Was ist mit mir! Ich sterbe. Um Gottes willen, so helft mir doch bitte!«, schrie ich immer und immer wieder â ganz offensichtlich im Geiste.
Der merklich beunruhigte Anästhesist beugte sich herunter und flüsterte mir mitfühlend zu: »Beruhigen Sie sich um Gottes willen, in einer Minute sind Sie weg.« Und dann, als ich völlig verzweifelt in Tränen ausbrach: »Und hören Sie auf zu heulen, Ihre Schleimhäute sind schon entzündet genug, da brauchen Sie das Intubieren nicht noch schwieriger zu machen!« Er verabreichte die Anästhesie und in der Annahme, die Wirkung habe schon eingesetzt, verkündete er allen Umstehenden dass sie sich entgegen allem Anschein nicht zu beeilen bräuchten, weil der Chirurg »noch an einem Brötchen kaute â¦Â«
Völlig gebrochen, terrorisiert, verzweifelt und einsam versank ich in der Betäubung, davon überzeugt, dass
ich sterben würde und niemand sich auch nur im Geringsten darum scherte.
Kurz nach der Operation kam ich wieder zu mir (obwohl in Wirklichkeit offensichtlich nicht), um festzustellen, dass man mich gerade auf der Intensivstation »installierte«. Es machten sich viele besorgte Menschen um mich herum zu schaffen, aber sie waren alle nur verschwommen zu sehen â mit Ausnahme einer Frau. Sie stand deutlich erkennbar an meiner linken Seite und trug eine etwas altmodische, weià gestärkte Schwesternuniform. Sie lächelte mich an und sprach in sanftem, beruhigendem Ton mit mir: »Na na, nun lass die Leute einfach nur machen. Es ist okay. Sie wissen, was sie tun. Bei mir bist du sicher. Jetzt schlaf.« Erleichtert, dass ich die OP überstanden hatte, und beruhigt ob ihrer unerschütterlichen Gelassenheit, lieà ich zu, dass ich wieder in den »Schlaf« sank. Fast unmittelbar darauf fühlte ich mich in eine Art Strudel hineingezogen. Was zum Teufel war das? Als ich hindurchwirbelte, prasselten Dutzende von blitzartigen Erfahrungsmomenten auf mich ein. Und jeder dieser blitzartigen Momente brachte in die rasante Bewegung eine Pause, die eine Sekunde und ein ganzes Leben zugleich anzudauern schien. In einem dieser Erfahrungsmomente wurde ich erstochen, in einem anderen überfuhr ich einen Hund, in wiederum einem anderen rannte ich auf einem morastigen Feld um mein Leben, Senfgas brannte in meinen Lungen, während ich mir den Bruchteil einer Sekunde gewahr wurde, wie
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