Zuhause ist ueberall
Jungen mit aller Kraft unterwegs zum überwunden geglaubten Nationalismus der Ethnien und Religionen. Der Islam auf der einen, die serbische Orthodoxie auf der anderen Seite üben offenbar eine stetig wachsende Anziehungskraft aus.
Die im Museum von Jajce ausgestellten Erinnerungen an den gemeinsamen Partisanenkampf wirken dagegen seltsam blass. Wie viel Heroismus, wie viel gemeinsame Kriegserfahrung gegen einen übermächtigen äußeren Feind muss es eigentlich noch geben, damit das so Gestiftete überdauert? Titos legendäres Einigungswerk im Zeichen des Partisanentums – alles für die Katz?
In der Vorbereitung auf unseren Film habe ich Milovan Djilas’ Kriegsmemoiren gelesen. Mühsame Lektüre, eine Schlacht nach der andern. Es fällt schwer, daraus die Kriegswirklichkeit herauszudestillieren und die Antwort auf die Frage: Warum brachten diese Leute – Serben, Kroaten, Tschetniks, Ustaschas – einander eigentlich mit solch beispielloser Grausamkeit gegenseitig massenweise um? Woher dieser Hass, mit dem die Nachkommen nun leben müssen?
Aber Hass ist wohl doch nicht das richtige Wort. Djilas schildert mit großer Sachlichkeit, wie er immer wieder Leute erschießen lässt – Tschetniks, Italiener, Renegaten –, manche von ihnen ganz anständige Leute, wie er bereitwillig hinzufügt, nur eben von der anderen Seite. Die unausgesprochene Maxime dazu scheint zu lauten: So ist es eben im Krieg, und so war es, zumindest in Serbien und Montenegro, auch früher immer. In einer seiner seltenen persönlichen Passagen preist Djilas die Serben als »natürliche Soldaten«, denen »der Krieg die Heimat ist«.
Die bosnischen Muslime sind »die Türken«. Eine sehr separate Spezies Mensch, unbeliebt und unverstanden. Kein Wunder, dass die künstliche Einheit nun wieder auseinanderbricht. Auch das selbstverständliche Eintreten der Serben und Montenegriner für die (kommunistischen) Partisanen wird im Lichte der Historie einleuchtend. Für die meisten waren die Partisanen einfach diejenigen, die mit Mütterchen Russland verbündet waren, das ihnen seit Jahrhunderten gegen die Türken beigestanden war. Djilas schildert einen montenegrinischen Bauern, der bei der Nachricht, Kiew sei gefallen, meint: Das ist eine heilige Stadt, das ist schlimmer, als wenn eine unserer Städte gefallen wäre.
Für mich ist die Begegnung mit den offiziellen muslimischen Würdenträgern frappant – parteikommunistische Karrieristen, offensichtlich ohne wirkliche Bindung zum Glauben, zur Tradition, auch nicht zum Sozialismus, mit der einzigen Aufgabe, die Gläubigen bei der Stange der Regierung zu halten. Ich kenne diese Typen nun schon auf Katholisch aus der Tschechoslowakei (die Friedenspriester), auf Evangelisch aus der DDR (die Parteipastoren) und nun auf Islamisch aus Bosnien – sie sind auswechselbar. Kein Wunder, dass normale Menschen aus allen Gruppen gegen diese Art von instrumentalisierter Religion rebellieren.
Es ist wunderbar, einmal ohne Kamera, nur zu Recherchezwecken, unterwegs zu sein. Ich wohne im altmodisch-orientalischen Hotel Evropa, zwischen türkischen Möbeln und Messingleuchtern, fahre in die wunderschöne Ivo-Andrić-Stadt Travnik, höre zwischen den k.u.k. Bauten, die auch in der Wiener Kandlgasse stehen könnten, den Ruf des Muezzins und lasse mich von meinem Moslemprofessor in alte Beg-Familien mitnehmen, wo noch der Tschibuk geraucht und der herrliche bosnische Kaffee auf dem Holzkohlenöfchen warm gehalten wird. Nur Journalisten haben offensichtlich heute noch das Privileg, zu reisen wie im 19. Jahrhundert, mit Empfehlungsbrief und vorbereitender Lektüre, mit dem Ziel, Land und Leute, Sitten und Gebräuche zu erforschen und mit Gouverneur und General, Rabbi und Mufti, mit Dichter und Professor zu konversieren.
Ich komme später noch ein paar Mal nach Sarajevo. Kurz nach dem Krieg, der den Zerfall Jugoslawiens gebracht hat, beschließt der steirische Bischof Johann Weber, animiert von seinem Politikberater Harald Baloch, eine ökumenische Reise in die bosnische Hauptstadt. Vertreter aller in Österreich tätigen Religionsgemeinschaften sollen gemeinsam dorthin fahren, in die Region, in der der unselige Krieg seinen Ausgang genommen, und in die Stadt, die darunter am meisten gelitten hat. Das Ziel: öffentlich zu zeigen, dass die Verschiedenheit von Religionen kein Grund zu Krieg, Mord und Totschlag ist. Der Bischof ist mir wohlgesonnen und nimmt mich mit.
Es wird eine einigermaßen seltsame Reise. Jeweils
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