Zuhause ist ueberall
Pfarrhaus gegenüber der Kirche gaben die Ratsuchenden, von jugendlichen Punks bis zu einsamen alten Damen, einander rund um die Uhr die Tür in die Hand. Er war auch einer der wenigen bekannten Pastoren, die nach der Wende nicht in die Politik gingen. Er blieb, was er war, der Pfarrer der Nikolaikirche. Ein Mann, der mir Eindruck macht.
Kurz vor dem Ende der DDR gibt es noch einen Staatsbesuch des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky in Ost-Berlin, über den ich berichten muss. Ein Stadtrundgang steht auch auf dem Programm. Ein Highlight: das neu renovierte Nikolaiviertel. Als Vranitzky sich das Viertel anschauen will, hat die Polizei die ganze Gegend hermetisch abgeriegelt. Spaziergänger, denen man die Stasi kilometerweit ansieht, schlendern unauffällig durch die Knusperhäuschen-Gassen, ebenso Stasidamen mit Einkaufstaschen, Hausfrauen mimend. Rentnerehepaare, idyllisch auf Bänkchen sitzend, vervollständigen das Bild. Das Nikolaiviertel ist der Stolz der DDR-Hauptstadt. Mittelalterliche Häuser, in Beton-Plattenbauweise nachgebaut. Irgendwie passt die Inszenierung für den Staatsbesucher zu dieser Disneyland-Altstadt: statt Mickey Mouse verkleidete Polizisten.
Der Höhepunkt ist dann ein Staatsbankett, gegeben von Staatschef Erich Honecker. Auch ich werde diesem vorgestellt. Er will charmant sein und ein Kompliment machen: »Sie haben aber eine schöne Pressekarte«, sagt er. Der Saal ist ungefähr so behaglich wie eine Turnhalle, an den Tischen, außer unter den Österreichern, ausschließlich Männer. Nach den offiziellen Toasts werden von einer Armee von Kellnern allerlei Speisen aufgetragen und schlag halb zehn blitzartig wieder abgeräumt. Daraufhin verabschiedet sich alles flüchtig, wenn überhaupt, von den Tischgenossen und geht formlos, aber erleichtert nach Hause. Wie in der Werkskantine. Das kürzeste Diner, das ich je erlebt habe, und das hässlichste.
Beides, die aufgesetzte Realer-Sozialismus-Kultur und die ererbte Altes-Deutschland-Kultur, ist mit der Wiedervereinigung verschwunden. Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei haben sich seit der Wende verändert, aber es gibt sie immer noch. Die DDR ist ein für allemal weg, vergangen, in Luft aufgelöst. Wenn ich heute nach Ostdeutschland komme, denke ich: Nicht schade drum.
Reisen im Orient
Die Länder des Balkan sind natürlich auch Osteuropa, mein Ressort im ORF, und ich fahre gelegentlich zu Dreharbeiten hin. Aber das gehört für mich seltsamer- und nicht ganz fairerweise nicht in das Kapitel politische Berichterstattung, sondern eher in das Kapitel »Reisen im Orient«. Parteitage, politische Fraktionen, Wirtschaftspläne können mich wenig faszinieren. Umso mehr aber alles, was noch von einer Kultur übriggeblieben ist, die jahrhundertelang eine für uns sehr fremdartige, aber reizvolle Mischung zwischen Europa und dem Osten dargestellt hat.
1984, noch vor dem Jugoslawienkrieg, drehen wir in Bosnien. Eine Wallfahrt zum Derwischkloster an der Bunaquelle bei Mostar, dem Hauptort der Herzegowina. Ein heiliger Ort für die bosnischen Muslime. Hier wird der syrische Derwisch Sari Saltschuk verehrt, der Drachentöter und Glaubensbote, der die Herzegowina zum islamischen Glauben bekehrt hat. Ein wunderschöner Platz. Ein Klösterchen in türkischem Barock, einsam an einer spektakulären Felswand gelegen. Unten strömt blitzblau der Fluss Buna aus dem Gestein und bildet eine Art sprudelndes Wasserbecken. An seinen Ufern sammeln sich die Frommen zum Gebet. Oben in den Felsenbergen horsten die Steinadler. Wir sehen ein Adlerpaar, gewaltige Vögel, die über den Betenden ihre Kreise ziehen.
Zur Wallfahrt kommen die Leute aus der ganzen Gegend, wie bei uns nach Mariazell oder in Polen nach Tschenstochau. Bäuerinnen mit Kopftuch, beladen mit großen Fresskörben. Ehrwürdige Hadschis in ihren gelben Turbanen, die Derwische, mit weißem Fez auf dem Kopf, alle fromm und vergnügt den Sommertag genießend. Die Frauen sitzen getrennt auf einem grasigen Felsvorsprung. Ich setze mich zu ihnen. Sie rücken bereitwillig zur Seite, packen die Jausenkörbe aus, holen allerlei Selbstgebackenes hervor und bieten mir davon an. Es wird viel gelacht. Wallfahrtsorte, so scheint mir, haben etwas Gemeinsames, in allen Kulturen. Ich fühle mich sofort heimisch. Kerzlweiberln unter sich.
Wir fahren in die Bjelasnica, eine Bergregion in Mittelbosnien. Es geht über eine steile Straße hinauf. Wir sind froh, dass wir ein geländegängiges Auto haben.
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