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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Rundherum schroffes Gebirge. Unser Ziel ist ein abgelegenes Dorf. Nur während dreier Monate im Jahr, sagen uns unsere Gewährsleute, ist das Dorf zugänglich. Während der übrigen neun ist die Bergstraße zugeschneit. Dann sind die Menschen dort oben von jeder Zivilisation abgeschnitten und ganz auf sich allein gestellt.
    Eine kleine Ansammlung von Holzhäusern, dunkel gebeizt vom Wetter, mit schön geschnitzten Ornamenten. Ein Hüne von einem Mann führt uns herum. Er ist Bauer, sagt er uns, aber auch Tischler und Traktorist und im Winter Zahnarzt. Wir sitzen in seiner Küche, er geht zum Küchenschrank und holt zwei riesige Zangen heraus. Mein Begleiter muss den Mund aufmachen, und unser Gastgeber zeigt uns, wie er im Winter, wenn ein Gang zum Zahnarzt unmöglich ist, den Leuten einen Zahn reißt. Eine ziemlich ungemütliche Vorstellung. Und was ist, wenn im Winter jemand stirbt?, fragen wir. Dann wird der Tote im eiskalten Stadel aufgebahrt. Ihn im gefrorenen Boden hier oben zu begraben ist unmöglich. Mit dem Begräbnis muss gewartet werden, bis es wieder warm wird.
    Wir haben das Gefühl, plötzlich im Mittelalter gelandet zu sein.
    In diesem Dorf wird Wolle von den eigenen Schafen gesponnen, selbst gewebt und selbst zu Kleidern verarbeitet. Sie sind bunt und warm. Mehl wird in der steinernen Handmühle gemahlen und zu Brot gebacken. Die Frauen schlagen die Milch zu Butter und hängen das Fleisch in den Rauchfang zum Selchen. Die Wäsche waschen sie mit Holzasche und spülen sie im eisigen Bach. Im letzten Winter, erzählen die Bauern, war ein Bär in der Gegend und hat Schafe gerissen. Und einen Wolf hat unser Gastgeber eigenhändig erschlagen.
    Dieser Mann war nie in seinem Leben in einer Schule. Beim Militär hat er ein wenig Lesen und Schreiben gelernt. Aber sein Sohn, erzählt er stolz, hat in Sarajevo studiert und mit zweiundzwanzig Jahren seinen Doktor gemacht. In einer einzigen Generation ist der Schritt geschafft vom Analphabeten zum Intellektuellen.
    Eine gewaltige Leistung. Auch ein Fortschritt. Aber die archaische und besondere Kultur dieses Dorfes ist wohl endgültig zum Sterben verurteilt. Wir haben gerade noch ihre letzte Blüte gesehen, denn schon nächstes Jahr soll eine neue, auch im Winter befahrbare Straße gebaut werden. Wir malen uns aus, wie das Dorf in ein paar Jahren aussehen wird – mit Touristenhotel, Minigolfplatz, Bankfiliale.
    Das eigentliche Thema unseres Films ist die Wiedergeburt des Islam in Bosnien. Noch ist der Vielvölker- und Vielkulturenstaat Jugoslawien intakt. Und noch können wir in Sarajevo mit seiner Moschee, seiner katholischen und seiner orthodoxen Kirche und seiner Synagoge das scheinbar friedliche Nebeneinander vieler Religionen besichtigen. Ein Stück k.u.k. Orient. Aber unter der Oberfläche brodelt es schon, und der Hass, der schon einmal zu einem blutigen Krieg geführt hat und bald zu einem neuen führen wird, ist bereits zu spüren.
    Wir treffen einen muslimischen Professor, der für ein islamisch geprägtes Bosnien eintritt. Muhammed Filipović ist ein gebildeter Mann, wir unterhalten uns auf Englisch. Eine europäisch eingerichtete Wohnung, aber mit gerahmten arabischen Koransprüchen an der Wand und einer Wasserpfeife im Regal. Der Professor erzählt von einer seiner ehemaligen Studentinnen, einer hochbegabten jungen Autorin, die zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden ist. Sie war Parteimitglied, trat aber aus der kommunistischen Partei aus, als sie den Islam für sich entdeckte. Sie kleidete sich islamisch, begann sich für islamische Kultur und Geschichte zu interessieren. Prompt bekam sie keine Aufträge mehr, war Anfeindungen ausgesetzt. Sie fuhr schließlich in den Iran – und kehrte bald darauf, tief enttäuscht von den dortigen Zuständen, nach Bosnien zurück, nur um sich dort alsbald vor Gericht wiederzufinden.
    Kontrastprogramm: der serbische Autor Vuk Drašković, der wegen seiner Kritik an den seiner Meinung nach zu islamfreundlichen bosnischen Zuständen ebenfalls aus der Staatspartei ausgeschlossen wurde. Er ist ein junger Mann mit dem Aussehen eines Rasputin. Slawisch-dämonisch. Seine Themen sind die serbischen Heldentaten der Vergangenheit (vor allem in den Kämpfen gegen die moslemischen Türken). Seine Helden sind Dostojewski und Nietzsche. Die bosnischen Muslime verabscheut er wie die Pest.
    Jugoslawien ist ein Vielvölkerstaat. Bosnien ist eine Vielvölkerrepublik. Aber es sieht so aus, als seien gerade die engagiertesten

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