Zuhause ist ueberall
zwölf Stunden hin und zurück sitzen wir im Autobus, eine buntgemischte Gesellschaft. Katholiken, Orthodoxe, Protestanten, Muslime, Juden. Alle sind da, um Dialogbereitschaft und Versöhnung zu demonstrieren, aber trotzdem sprühen gelegentlich die Funken.
Wir fahren durch die vom Krieg verwüstete Landschaft Bosniens. Kaputte Dörfer. Ausgebrannte Ruinen zwischen blühenden Apfelbäumen. Zerstörte Städte haben im Fernsehen bei allem Grauen immer auch etwas Eindrucksvolles und Grandioses. Nicht so diese armseligen Gastarbeiterhäuser, jeweils in jahrelanger Schufterei in Deutschland zusammengespart, schon im unzerstörten Zustand hässlich und elend. Ausgebrannt und eingestürzt sehen sie vollends zum Weinen aus. Im kroatisch besiedelten Teil Bosniens haben die zurückgekehrten Bewohner trotzig die kroatische Fahne mit dem rot-weißen Schachbrettmuster, die Sahovnica, aufgezogen. Unser Reisegefährte Salim Hadzic, bosnisch-muslimischer Islamprofessor in Wien, explodiert: So sind sie, die Kroaten. Wollen nicht einsehen, dass das unser Staat ist, Bosnien.
Salim ist ein junger Feuergeist, der mir, damals noch Student, bei der Vorbereitung unseres Moslemfilms viel geholfen hat. Er sitzt vorn im Autobus, neben sich das Kühlabteil mit den Getränken. Irgendwann möchte Hans Kronberger, ein mitreisender biederer Rotkreuzarzt, ein Bier. Salim schüttelt den Kopf. Nein, das kann er ihm nicht geben. So etwas tut ein Moslem nicht. Kronberger ärgert sich, sagt aber nichts. Aber als Salim wenig später über »islamische Toleranz« doziert, wird der Doktor wütend. Sie mit Ihrer Toleranz! Ausgerechnet! Unsere religionsübergreifende Pilgerfahrt begegnet ihrem ersten Stolperstein. Jetzt tritt Harry Baloch auf den Plan, der gute Geist unserer Reise, der immer sofort weiß, wie man eine drohende Krise im Keim erstickt. Er ruft als neutrale Instanz Rabbi Rothschild zu Hilfe, der als Vertreter des Wiener Oberrabbiners die Reise mitmacht. Rabbi Rothschild hat sofort eine salomonische Lösung parat. Er bittet Salim Hadzic, mit ihm den Platz zu tauschen. Setzt sich auf den Vordersitz und gibt dem Rotkreuzdoktor sein Bier. Er hat kein Problem mit alkoholischen Getränken.
Der Rabbi ist ein etwas skurriler Engländer, dessen ganze Liebe alten Eisenbahnen gilt. Für theologische Diskussionen ist er nicht zu haben, aber wenn wir eine uralte Lokomotive sehen, rufen wir: »Rabbi, a train for you!« Dann stürzt er sofort zum Fenster und fotografiert. Er freut sich darauf, nach seiner Rückkehr einen Artikel für die Eisenbahnzeitschrift Trains zu schreiben, deren regelmäßiger Mitarbeiter er ist.
Ein weiterer Mitreisender ist der Metropolit Erzbischof Michael Staikos, griechisch-orthodoxer Erzbischof in Wien. Er ist eine eindrucksvolle Erscheinung, mit prächtigem Bart, Popengewand und großem Silberkreuz auf der Brust. Als wir einmal Pause machen und den Autobus verlassen, kommt die Polizei. Kroatische Anrainer haben sie alarmiert: Ein orthodoxer Würdenträger, der als Vertreter des verhassten Serbentums gesehen wird, ist suspekt. Und dann ist da noch der evangelische Oberkirchenrat Johannes Dantine, ein gelehrter Protestant, dem die um ihn versammelten Obskurantisten verschiedenster Couleur herzlich auf die Nerven gehen. Bischof Weber aus Graz, ein Kirchenmann mit viel Güte und Humor, beobachtet die heimlichen Scharmützel seiner Gefährten entspannt. Endlich einmal Konflikte, die ihn und seine Kirche nicht betreffen.
In Sarajevo angekommen, führt unser »Weg der Versöhnung« von der katholischen Kathedrale, einem neugotischen Bau aus der österreichischen Zeit, zur uralten orthodoxen Kirche mit einer winzigen Gemeinde, die sich freut, mit dem orthodoxen Erzbischof die schöne ostkirchliche Liturgie zu feiern. Dann kommt das Mittagsgebet in der prächtigen Begova-Moschee. Viele neugierige Blicke treffen die Gäste, unter ihnen der katholische Kardinal, Oberhirte aller Katholiken in der Region, mit roter Schärpe, und der orthodoxe Metropolit in schwarzer Soutane. Christliche Kirchenfürsten haben sich hier vorher noch nie sehen lassen. Und schließlich besuchen wir auch noch die kleine jüdische Gemeinde von Sarajevo oder das, was von ihr übriggeblieben ist.
Es sind sephardische Juden, die nach der Vertreibung aus Spanien durch die katholischen Könige auf dem Balkan heimisch geworden sind. Einer von ihnen ist David Albahari, einst Partisan, später Testpilot und Flugzeugkonstrukteur in der jugoslawischen Armee. Im Gespräch
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