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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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ist heute eine überwiegend muslimisch geprägte Stadt. Die Serben, vor kurzem Kriegsgegner, aber offiziell Mitbürger, sind für die meisten Menschen in der Stadt immer noch die Feinde. Ich beschließe, nach Pale zu fahren, der serbischen Hochburg, einst Sitz des serbischen Oberkommandos und Heimatort des international als Kriegsverbrecher gesuchten Serbenführers Radovan Karadžić. Auf unserem offiziellen Reiseprogramm ist ein Besuch in der Republika Srbska, dem serbischen Teil Bosniens, nicht vorgesehen. Wäre wohl zu wenig ›positiv‹. Pale liegt nur fünfzehn Kilometer von Sarajevo entfernt. Aber dort hinzukommen erweist sich als gar nicht so einfach. Eine lange Reihe Taxis steht aufgereiht auf dem Hauptplatz. Aber ein Taxifahrer nach dem andern, den ich für die kurze Strecke engagieren will, schüttelt ablehnend den Kopf. Nein, dorthin fährt man nicht, nicht für Geld und gute Worte. Schließlich erklärt sich Haris, ein junger Mann aus Sarajevos Kunstszene, bereit, die Fuhre zu übernehmen. Er ist selbst gespannt, wie es in Pale aussieht. Er war noch nie dort.
    Ein zweisprachiges Schild begrüßt uns: ›Welcome to the Republika Srbska.‹ Pale ist ein schmuckes großes Dorf, ein gepflegtes Haus am Dorfrand gehört der Familie Karadžić. Radovans Frau und Tochter leben hier. Zwei nette Damen, hören wir, man kann sie öfters beim Einkaufen sehen. Das Kulturhaus erinnert mich sehr an realsozialistische Zeiten: eher düster, Kunstledersessel und Neonröhren, im Schaukasten Fotos von serbischen Volkstänzen. Eine strenge Blondine empfängt uns eher misstrauisch. Ob sie manchmal nach Sarajevo hinunterfahre, fragen wir, dort sei ja jetzt kulturell so viel los. Kurze Antwort: nein. Und jetzt Schluss, keine weiteren Auskünfte.
    Weiter ins Pfarrhaus. Dort hat im Mai eine erfolglose Razzia der Sfor, der UN-Einsatztruppe, stattgefunden. Man suchte nach Radovan Karadžić. Der Kaplan führt uns bereitwillig in die gute Stube und zeigt uns, zwischen Marienikonen und spitzen braunen Opferkerzen, die Fotos, die er nach der Razzia geschossen hat. Die Soldaten unter Führung eines amerikanischen Offiziers, hören wir, haben die Tür eingetreten und, als sie Karadžić nicht fanden, den Pfarrer und seinen Sohn krankenhausreif geprügelt. Der Hohe Repräentant für Bosnien hat sich später in aller Form für den Zwischenfall entschuldigt. Aber dem Kaplan genügt das nicht. ›Sie wollen das serbische Volk treffen‹, sagt er, ›indem sie seine Kirche verfolgen.‹
    Keine guten Aussichten für Versöhnung. Aber es gibt dennoch Hoffnungszeichen. Die junge bosnische Kunstszene in Sarajevo sucht den Anschluss an Europa, an Multikulturalität, Pluralismus und Toleranz. ›Deconstructing Monuments‹ heißt ihr jüngstes Projekt. Vergangenheitsbewältigung auf Bosnisch. Künstler haben am Kai des Miljacka-Flusses die Gedenksteine für das Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand im Jahre 1914 wieder aufgestellt, sowohl das Relief für das Thronfolgerpaar als auch die in Asphalt gegossenen Fußspuren des serbischen Attentäters Gavrilo Princip.
    Dieses Attentat galt den einen damals als ruchloser Mord, den anderen als heroische Befreiungstat. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurde das Relief, da politisch nicht mehr opportun, verbannt, und nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens auch die Fußspuren. Jetzt erinnert offiziell gar nichts mehr an das Ereignis, das den Ersten Weltkrieg auslöste und eines der wichtigsten in der Geschichte der Stadt war. Was schmerzt und Kontroversen auslöst, soll am besten vergessen werden. Die jungen Künstler sind anderer Meinung. Sie wollen sich erinnern, nicht vergessen. Und haben die Erinnerungsstücke aus dem Depot hervorgeholt. Die Botschaft der Aktion: Das ist nun einmal unsere Geschichte. Man kann und soll sie nicht im Nachhinein retouchieren.
    Die Geschichte, die Geschichte. Sie ist überall. Sie wiegt schwer. Sie geht nicht weg, sondern geht immer weiter. Ihr Schatten liegt dunkel über diesem Land, das eine Zeitlang auch zu Österreich-Ungarn gehört hat. Kann man sie überhaupt ›aufarbeiten‹? ›Bewältigen‹? Leicht gesagt, wenn man von außen kommt und die Schrecken und Leiden des Bruderkriegs nicht erlebt hat. Ich kann verstehen, dass es den Betroffenen schwer fällt.«
    Ich mag Sarajevo. Für mich ist die Stadt ein Symbol sowohl für die schöne Vielfalt der Kulturen in dieser Weltgegend wie auch für deren manchmal erbitterte Feindschaft. Sie ist, denke

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