Zuhause ist ueberall
Die Bilder, die er bei renommierten Malern in Auftrag gab. Darauf sah man seltsame Jagdtrophäen, etwa Wölfe mit Hirschgeweih, aber auch Porträts von ihm selbst in Gestalt seines imaginierten Alter ego, des Duca di Centigloria. Dieser Centigloria war der Nachfahre aller berühmten Schurken der Weltgeschichte, seine Stammmutter war die Schlange im Paradies. Centiglorias Stammbaum war von Onkel Hansi, unter Aufbietung großer historischer Bildung, sorgfältig ausgearbeitet und beschrieben worden. Unser Onkel war überhaupt ein begabter Amateurschriftsteller. Sein gelehrtes Buch über Kannibalismus, »Ich fraß die weiße Chinesin«, natürlich unter dem Namen Centigloria herausgegeben, wird von Liebhabern derartiger Literatur heute noch geschätzt und gesammelt.
In Prag sehen wir Onkel Hansi nur selten. Mein korrekter Vater ist nicht begeistert von den Extravaganzen seines Bruders, vor allem nicht von den einigermaßen grotesken Umbauten, die dieser am Ronsperger Schloss vornimmt. Sogar einen selbst entworfenen Turm hat er dem alten Gebäude aufsetzen lassen. Und Papi mag Hansis Frau Lilly nicht. Lilly ist eine emanzipierte Person und war die erste Pilotin in Österreich. Als die Nazis kommen und sie ihrer jüdischen Herkunft wegen bedroht ist, geht sie nach Frankreich und später in die Schweiz, ohne ihren Mann. Dieser sympathisiert ein wenig mit der Berliner Nazi-Schickeria, aber er sorgt bis zu Lillys Tod großzügig für ihren Unterhalt.
Onkel Johannes, genannt Hansi
Einmal kommt Onkel Hansi uns trotzdem in Prag besuchen. Die beiden Brüder unterhalten sich gut, trinken ein wenig über den Durst, meine Mutter geht irgendwann schlafen. Als sie am anderen Morgen in den Salon kommt, steht mit großen Tintenstift-Buchstaben an der weißen Wand: »Rolfi ist doof.« Muss man jetzt das Zimmer neu ausmalen lassen? Mami ist wütend. Echt Hansi! Sie hängt ein Bild über die peinliche Aufschrift. Wir Kinder lieben es, verstohlen das Bild aufzuheben und über »Rolfi ist doof« zu kichern.
Hansi ist das älteste von sieben Geschwistern, von denen alle, jedes auf andere Weise, aus dem üblichen Schema ihrer Generation und ihrer Gesellschaftsschicht herausfallen. Nummer zwei ist Onkel Dicky, später Gründer der Paneuropa-Union. Er heißt eigentlich Richard, nach Richard Wagner, wird in der anglophilen Familie aber von Kind auf Dicky genannt. Er muss als Junge bildschön gewesen sein und sieht auch noch im Alter sehr gut aus, ein europäischer Gentleman mit gerade jenem Touch von Orient, der einen Mann interessant macht. Der schönste Mensch, der ihm je begegnet sei, notiert Thomas Mann über ihn in seinem Tagebuch. Dickys erste Frau – insgesamt werden es drei – ist die Burgschauspielerin Ida Roland. Auch Onkel Dicky und seine Idl besuchen uns in Prag, die Schauspielerin mit einem grandiosen Hut und zwei großen Hunden, eine auffallende Erscheinung. Eine richtige Diva. Wir staunen. So etwas haben wir noch nie gesehen.
Dickys große Zeit waren die Zwanzigerjahre, seine Ideen von einem vereinten Europa schienen vielen, nicht zuletzt der liberalen Wiener jüdischen Bourgeoisie, als eine Alternative zu den heraufdämmernden Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus. Auch Bruno Kreisky gehörte als junger Mann eine kurze Zeit der paneuropäischen Jugendorganisation an. Von Anfang an ein kompromissloser Nazigegner, emigrierte Dicky mit seiner jüdischen Frau zunächst in die USA und nach dem Krieg in die Schweiz.
Hansi und Dicky sind »die Japaner«, weil sie noch in Japan geboren sind und deshalb von ihrer Mutter bevorzugt werden. Als Theresianisten in Wien mehr oder minder auf sich allein gestellt, werden sie bald deklarierte Freigeister. Wir kommen in die Hölle, erklären sie ihren Schwestern, wenn diese aus der Klosterschule nach Hause kommen. Dort ist es sehr interessant, wir treffen dort Voltaire und Nietzsche und alle großen Geister. Und ihr kommt in den Himmel, dort ist es stinklangweilig. Dort trefft ihr nur die Schwester Leontia.
Tante Elsa (†1936, Paris)
Mein Vater Gerolf, Rolfi genannt, ist der Brave in der Familie. Er dient als gehorsamer Soldat in zwei Weltkriegen, heiratet als einziger standesgemäß und hat vier Kinder, während die anderen, bis auf Hansi, der eine Tochter hat, kinderlos bleiben. Als Zögling im Theresianum weigert er sich zuzuhören, als seine zu jeder Provokation aufgelegten großen Brüder einmal auf dem Grammophon die Internationale spielen. Schließlich, sagt er,
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