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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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betont, was die tschechischen Kondukteure freilich wenig kümmert. Zweimal Museum – wir finden das furchtbar komisch.
    In der Schule lernen wir auswendig: »Unser Führer Adolf Hitler ist am 20. April 1889 als Sohn eines Zollbeamten in Braunau am Inn geboren« – ein Satz, den ich noch heute so automatisch aufsagen kann wie das Vaterunser. Das Bild unseres Führers Adolf Hitler ist nun überall zu sehen. Meine unpolitische Mutter betrachtet es eine Weile nachdenklich und wendet sich dann kopfschüttelnd ab: »Dieses G’sicht …«
    Was haben wir zu Hause über den Nationalsozialismus gehört? Nicht viel. Wie stehen unsere Eltern zu den neuen Herren? Was unsere Bekannten anbetrifft, so gilt bei uns eine Einteilung in drei Gruppen: »bissl ein Nazi«, »eher ein Nazi« und »ein Mordsnazi«. Unser Vater reagiert zwiespältig. Er geht, anders als die meisten Prager nichtjüdischen Deutschen, nicht auf den Hradschin, als Hitler sich dort auf dem Balkon der alten Königsburg zeigt und von seinen Anhängern bejubeln lässt. Aber er begrüßt prinzipiell den Einmarsch. Endlich wieder dazugehören, endlich wieder ein Vaterland haben, endlich wieder im selben Staat wie Österreich leben – das gefällt ihm. Vollends als beruhigend empfindet er, dass als »Reichsprotektor« ein Freiherr von Neurath auftaucht, ein »Herr«, wie es heißt, mit dem man reden kann. Unter ihm würden die problematischsten Seiten des NS-Regimes, Kirchenfeindschaft und Antisemitismus (in dieser Reihenfolge), wohl nicht so schlimm zu Tage treten.
    Ich habe später meinem Vater wegen seiner Haltung – kein Nazi, aber auch kein Antinazi – jahrelang gegrollt. Wirklich mit ihm darüber geredet habe ich nie. Das ging einfach nicht. Er selbst hat als alter Mann in seinen Erinnerungen, die er für seine Kinder niederschrieb, seine Einstellung mit einem Begriff aus der Mineralogie charakterisiert: Pseudomorphismus. Das ist ein Vorgang, der eine Substanz aussehen lässt wie einen Kristall, obwohl es sich nicht um einen Kristall handelt. So ähnlich sei es auch ihm gegangen. Einiges am »Dritten Reich« habe ihn an sein geliebtes und vergangenes altes Österreich und dessen Traditionen erinnert, daran habe er sich geklammert und den Rest ausgeblendet.

Vater Gerolf als Freiwilliger der k.u.k. Armee, zirka 1916
    Ich erkläre mir das aus seiner Lebensgeschichte. Er hat seinen eigenen Vater früh verloren. Seine japanische Mutter, entwurzelt und unsicher im fremden Land, konnte ihren Kindern nicht den nötigen Halt geben. Es muss eine kalte und desorientierte Kindheit gewesen sein. Für Papi war Kaiser Franz Joseph, »der alte Kaiser«, vom Knabenalter an die eigentliche Vaterfigur, das alte Österreich die eigentliche Heimat. Sie bot Werte, Sicherheit und Geborgenheit. Papi wurde im Wiener Theresianum sozialisiert, einer Anstalt, die ihre Zöglinge bewusst zu guten Staatsdienern heranbildete, zu Diplomaten, Beamten und Offizieren. Das Ziel: dem Kaiser und Österreich dienen. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete Papi sich, kaum achtzehnjährig, freiwillig zur k.u.k. Armee. Er liebte die Armee. Ihr Dienstreglement konnte er auswendig und zitierte es, nur halb ironisch, bei passenden Gelegenheiten. »Mühsale und Entbehrungen hat der Soldat mit männlicher Standhaftigkeit zu ertragen und zu bedenken, dass derlei Unzukömmlichkeiten im Leben des Kriegers oft unvermeidlich sind.«
    Beim Zusammenbruch der Monarchie war unser Vater ein blutjunger Leutnant an der italienischen Front und stand, wie die Offiziere in Franz Theodor Csokors Theaterstück »3. November 1918«, vor der Frage, wohin er nun »heimkehren« sollte. In die neugegründete Tschechoslowakei? In die Republik Österreich? Nach Wien, wo man angeblich den heimkehrenden Offizieren die Epauletten herunterriss? Seine Heimat Österreich-Ungarn und alles, wofür dieses Staatswesen gestanden hatte, gab es nicht mehr. Dieser Umstand war wohl, mehr als alles, was nachher kam, die eigentliche Tragödie seines Lebens. Zeitlebens war »der alte Kaiser« für ihn tabu, jede despektierliche Bemerkung von uns über Franz Joseph I. streng verboten.
    1918 wählte der Leutnant Coudenhove, weil er dorthin »zuständig« war, die Tschechoslowakei. Und was jetzt machen? Er hatte immer Diplomat werden wollen, sein Traum war, eines Tages wie sein Vater österreichisch-ungarischer Gesandter in Japan zu werden. Davon konnte jetzt keine Rede mehr sein. In der jungen tschechoslowakischen Republik ging man daran, den

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