Zuhause ist ueberall
aus und falle der Kollegin, die die französische Geliebte darstellt, aufgelöst um den Hals.
In Ronsperg ist Mitsuko nach dem Tod ihres Mannes auf sich allein gestellt. Zu seinen Lebzeiten war dieser der alleinige Herr im Haus und sie selbst eher dekorative Kunstfigur und gehorsame Schülerin als Lebenspartnerin und umsichtige Hausfrau. Jetzt lastet alle Verantwortung auf ihr. Nicht zuletzt für ihre Kinder, die schon frühzeitig erschreckend selbständig geworden sind. Mitsu muss sich vorgekommen sein wie eine Entenmutter, die Schwäne ausgebrütet hat.
Verwandte kommen ihr zu Hilfe. Heinrich, der wie die meisten seiner Standesgenossen bei den Jesuiten im Kollegium Kalksburg bei Wien erzogen worden ist, hat testamentarisch verfügt: Seine Söhne sollen nur ja nicht dorthin. Er ist Katholik, aber er ist stark vom Buddhismus beeinflusst und hält viel von religiöser Toleranz. Die dogmatische Strenge jesuitischer Erziehung behagt ihm gar nicht. Seine Kinder hätte er gern nach seinen eigenen Vorstellungen zu Hause erzogen und an einem öffentlichen Gymnasium die Matura machen lassen. Aber dazu kommt es nicht mehr. Die Buben kommen ins Theresianum nach Wien. Die Mädchen werden in Klosterschulen geschickt, zuerst ins Sacre Coeur nach Wien, dann zu den Englischen Fräulein nach St. Pölten. Sie werden ihrer Mutter zusehends fremd. Für Mitsu beginnt eine schwere Zeit.
Mitsu, Wien 1912
Es gibt viele Fotos von meiner Großmutter. Sie muss als junge Frau entzückend hübsch gewesen sein, groß und schlank, eine japanische Lotosblume im traditionellen Gewand. In Europa lernt sie offenbar schnell, sich schick zu kleiden. Auf den Fotos, sorgfältig gestellten Bildern aus den Ateliers von Wiener Gesellschaftsfotografen, braungetönt, posiert sie gekonnt im Schneiderkostüm, im Abendkleid, mit und ohne Federhut. Aber sie trägt immer noch gern den Kimono. Auf einem Bild ist sie japanisch gekleidet zu sehen, kniend vor einer Staffelei. Sie malt und kalligraphiert. Auf einem anderen Foto ist sie mit ihren Kindern abgebildet, diese stehen aufgereiht wie Orgelpfeifen nebeneinander, die Buben in Matrosenanzügen, die Mädchen in weißen Kleidchen. Die Jüngste hält sie im Steckkissen im Arm. Eine Idylle, die täuscht.
Ich habe meine Großmutter Mitsuko nie kennengelernt. Sie stirbt während des Zweiten Weltkrieges in Mödling bei Wien, wo sie sehr zurückgezogen lebte, zusammen mit ihrer Tochter Olga. Mein Vater hätte seiner Mutter gern seine Kinder vorgestellt, aber dazu kam es nie. Mitsu wehrte immer ab. Im Sommer vielleicht, wenn es wärmer ist, ließ sie sagen. Oder im Winter, wenn es nicht mehr so heiß ist. Sie scheint im Alter immer japanischer geworden zu sein. Das Heimweh hat sie nie verlassen. Heute würde man ihre Geschichte wohl die Geschichte einer nicht gelungenen Integration nennen.
Stich von Schloss Ronsperg im Böhmerwald, nahe der bayrischen Grenze; ehemaliger Wohnsitz der Großeltern Coudenhove-Kalergi
Auch Ronsperg, die Heimat meines Vaters, habe ich als Kind nie gesehen. Erst sehr viel später, als Journalistin nach der Wende, fahre ich hin. Ronsperg liegt im Böhmerwald, wenige Kilometer entfernt von der bayrischen Grenze. Das Städtchen war einst rein deutsch. Heute ist von den ursprünglichen Bewohnern keiner mehr da. Ronsperg heißt jetzt Poběžovice. Das Schloss steht noch, aber alles ist ziemlich verfallen und kaputt, die Innenräume sind leer, die große Bibliothek ist verschwunden. Auch den berühmten Ronsperger Ofen gibt es nicht mehr. Eine Enttäuschung. Vor allem diesen Ofen hatte ich sehen wollen, seinetwegen bin ich gekommen. Ich kenne ihn von Fotos: eine überlebensgroße Keramikskulptur, von hinten zu heizen, meinen Onkel Hansi im Schlafrock darstellend, den letzten Besitzer von Ronsperg. Ein Popkunstwerk, entstanden, lange bevor diese Kunstrichtung erfunden wurde.
Keramikofen in Schloss Ronsperg, der seinen letzten Eigentümer, Onkel Hansi, im Schlafrock darstellt, im Vordergrund seine Tochter Marina
Onkel Hansi war ein Exzentriker von Graden, den wir Kinder gerade deswegen mochten. Seine vom Surrealismus inspirierten Verrücktheiten sind Legende: seine ägyptische Mumie im Sarg, eine einbalsamierte Prinzessin, die er immer mit sich führte, auch auf Reisen und im Hotel. Die Münzen mit seinem Konterfei, die er prägen ließ und an Auserwählte verschenkte. Sein Auto, in den Coudenhoveschen Wappenfarben lackiert. Von rechts betrachtet, war es rot. Von links betrachtet, war es gelb.
Weitere Kostenlose Bücher