Zuhause ist ueberall
froh, dass mein bewunderter Bruder bei den Panzern ist und das fesche Barett trägt statt der spießigen Tellermütze. Die Flieger haben das größte Prestige. Deshalb nehmen sie sich auch das Privileg heraus, ihre Mützen zerknautscht zu tragen statt steif und glatt. Das sieht flott aus.
Wir haben jetzt ein Radio und hören damit die Wehrmachtsberichte. Oft gibt es Sondermeldungen, eingeleitet durch eine spezielle Musik, den Badenweiler Marsch. Meistens geht es da um versenkte englische Kriegsschiffe, wobei stets die Anzahl der Bruttoregistertonnen des gesunkenen Schiffs vermerkt wird. Das Wort Bruttoregistertonnen prägt sich mir unauslöschlich ein.
Im Radio gibt es auch eine regelmäßige kabarettistische Sendung gegen das sogenannte Meckern. Eine Frau, eine etwas dümmliche Plapperliese, kommt vor, die sich über irgendetwas beschwert – Lebensmittelknappheit oder unpünktliche Züge –, um dann von einem allwissenden und klugen Herrn Schmidt eines Besseren belehrt zu werden. Den stets wiederkehrenden gesungenen Refrain können wir auswendig: »Da kommt Herr Schmidt dazu / er hört sichs an in Ruh.« Und dann erklärt Herr Schmidt, warum alles so ist, wie es ist, und dass der Führer ohnehin Bescheid weiß und für Abhilfe sorgt. Die Nazipropaganda kommt an, jedenfalls bei uns Kindern. Der Kohlenklau ist ein hässliches schwarzes Männchen, es stiehlt den anderen Volksgenossen die Kohle. Und das an allen öffentlichen Orten sichtbare Plakat »Feind hört mit« zeigt uns diesen allgegenwärtigen und stets spionierenden Feind. Er hat große Ohren und trägt einen Hut.
Wir Jungmädeln sammeln für das Winterhilfswerk. In unserer Jungmädel-Uniform werden wir paarweise losgeschickt, die rote Sammelbüchse in der Hand. Das Ganze ist etwas peinlich, aber es wird dadurch gemildert, dass wir den Spendern auch etwas anzubieten haben: die berühmten WHW-Abzeichen. Sie sind bei jeder Sammelaktion anders, und manche sind wirklich hübsch: gläserne Anhänger mit verschiedenen germanischen Runen, charakteristischen Bauernhäusern aus den verschiedenen deutschen »Gauen« oder winzigen Holzpüppchen in deutschen Volkstrachten. Man kann sie sammeln. Der Erlös der Aktion, so hören wir, kommt armen deutschen Familien zugute. Ich bitte ungeniert und ahnungslos auch tschechische Passanten um Spenden. Diese müssen es als ziemliche Dreistigkeit empfunden haben, im Namen ihrer Besatzungsmacht auch noch angeschnorrt zu werden, und das zugunsten ihrer Feinde.
Je länger der Krieg dauert, desto mehr sammeln wir. Manchmal ziehen wir mit unserer Gruppe los und pflücken Heilkräuter im Wald. Aus denen werden heilkräftige Tees gemacht. Wir sammeln Pelz- und Wollsachen für die armen frierenden Soldaten in Russland. Auch aus unseren Kästen und Schränken werden alle entbehrlichen warmen Kleidungsstücke gespendet. Und wir sammeln Altwaren, die auch noch für irgendetwas zu verwenden sind. Dazu gibt es sogar ein humoristisches Lied: »Lumpen, Fetzen, Eisen und Papier / ausgeschlagne Zähne sammeln wir / Onkel Hermann braucht den Kram / für den Vierjahresplan.« Onkel Hermann ist Hermann Göring.
Die Buben bringen die Illustrierte Signal nach Hause. Darin gibt es Fotos von Kriegshelden, die eine ähnliche Rolle bei den Halbwüchsigen spielen wie heute die Popstars. Der Flieger Werner Mölders, der Afrika-Rommel und der U-Boot-Kapitän Günther Prien sind die beliebtesten. Günther Prien hat sich mit seinem U-Boot bis in den britischen Kriegshafen Scapa Flow vorgewagt und dort einige Schiffe versenkt. Wir Kinder kennen uns auch bestens mit den Orden aus: Ritterkreuz, Eichenlaub, Eichenlaub mit Schwertern und schließlich der höchste, Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten. Man kriegt diese Orden, wenn man möglichst viele feindliche Schiffe mit möglichst vielen Bruttoregistertonnen versenkt oder möglichst viele Flugzeuge abgeschossen hat.
Vom Bombenkrieg, den sogenannten Terrorangriffen, hören wir im Radio. Hin und wieder gibt es Fliegeralarm, dann geht unsere Schulklasse in den Luftschutzkeller, und der Unterricht fällt aus. Prag bleibt verschont, nur einmal fallen Bomben auf die Stadt. Das Emmauskloster der deutschen Benediktiner wird getroffen und ein paar Häuser im Bezirk Weinberge, mehr nicht. Und auch sonst bleibt das Protektorat Böhmen und Mähren, verglichen mit den meisten anderen Regionen Europas, eine Insel der Seligen. Wir haben Lebensmittelkarten, und manchmal wird das Essen knapp, aber hungern müssen wir
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