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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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nie. Papi hat streng verboten, dass irgendetwas auf dem Schwarzen Markt eingekauft wird. Als Jakob einmal irgendwo eine Quelle ausfindig macht, gibt es ein Donnerwetter. Aber hin und wieder schicken die Großeltern aus Breznitz einen Hasen oder eine Rehkeule. Das ist jedes Mal ein Fest.
    Als das Leben in Prag schwieriger wird und unser Vater und die Brüder eingezogen sind, geht Mami mit uns Kleinen und dem Fräulein nach Breznitz. Im Städtchen hat sich inzwischen eine Berliner Schule einquartiert. Die Schüler, lauter Buben, wurden aus der von Bombenangriffen gequälten Reichshauptstadt per Kinderlandverschickung ins sichere Protektorat evakuiert, wo sie nun in der neuen Breznitzer Schule wohnen und lernen. Die Schule ist modern und schön, eine Errungenschaft der Tschechoslowakischen Republik. Die einheimischen Kinder mussten das Gebäude räumen, sie gehen nun in die alte und baufällige Schule von früher. Ich, mittlerweile in der zweiten Klasse Oberschule, finde mich plötzlich als einziges Mädchen mitten unter den Berliner Jungs aus Kreuzberg. Diese nehmen mich ganz freundlich auf, sie finden es romantisch, dass ich im Schloss wohne. Als ich einmal auf dem Bock einer Pferdekutsche vorbeifahre – der Kutscher hat mir die Zügel überlassen – und meinen Klassenkameraden begegne, ernte ich Staunen und Bewunderung. Mein Renommee ist fortan gesichert.
    Wir fahren in Breznitz neuerdings viel mit dem Pferdewagen. Großpapas großer Chrysler ist jetzt mit einem Holzgasofen ausgestattet, einem unförmigen Gebilde, das aus dem Kofferraum hervorragt, raucht und stinkt und dem Chauffeur Vošahlík viel Ärger macht. Das zweite Auto, der kleine Tatra, steht aufgebockt in der Garage.
    In der Berliner Schule lerne ich preußische Geschichte. Studienrat Düsterhoff erzählt uns vom Alten Fritz, und ich bin sofort fasziniert. Dieser König, der alle Schlachten gewinnt, so gut Flöte spielen kann und so viele süße Hündchen hat! Und sich sogar mit diesen begraben lässt! Papi nennt ihn »Friedrich II., den die Preußen den Großen nennen«, und bezeichnet ihn, wie Maria Theresia, als »den großen Verderber«. Ich bin wieder einmal in einem Loyalitätskonflikt. Gut nur, dass in dem Nazi-Geschichtsbuch auch »unsere« Kaiserin Maria Theresia ganz gut wegkommt.
    Großpapa Pálffy ist inzwischen auch ein Deutscher geworden. Als »deutschsprachiger Tscheche« konnte er wählen, ob er sein nationales Bekenntnis ändern wollte oder seine Muttersprache. Ungern, aber doch wählte er nach langem Zögern die deutsche Staatsbürgerschaft. Besonders tschechisch war er schließlich auch vorher nicht gewesen. Er wollte vor allem sein geliebtes Breznitz behalten, und wer als Großgrundbesitzer Tscheche blieb, musste mit Zwangsverwaltung oder Enteignung rechnen. Als freilich der Blockwart erscheint und verlangt, dass Großpapa nach der großen Hasenjagd im Herbst das Wildbret an die deutschen Volksgenossen verteilt und nicht, wie gewohnt, an die tschechischen Treiber und ihre Familien, stößt er auf taube Ohren. Das wäre ja noch schöner! Unser Großvater wirft den Mann hinaus und erklärt ihm: Die Hasen sind immer noch international.
    Im März 1942 fällt der verhasste Reichsprotektor Reinhard Heydrich einem Attentat zum Opfer. Zwei junge tschechoslowakische Offiziere aus dem englischen Exil, ein Tscheche und ein Slowake, sind heimlich mit dem Fallschirm in Böhmen abgesprungen und haben mit Hilfe der tschechischen Widerstandsbewegung Heydrichs Gewohnheiten ausgekundschaftet. Auf dem Weg zu seinem Amtssitz, den dieser im offenen Wagen zurücklegt, trifft den SS-General eine Handgranate. Einige Tage später stirbt er an seinen schweren Verletzungen. Ein starkes Zeichen des tschechischen Widerstands, organisiert von der Exilregierung in London. Diese braucht dieses Zeichen. Eine Untergrundbewegung im Lande selbst gibt es zwar, aber sie ist bisher wenig sichtbar geworden.
    Die blutige Vergeltung, die jetzt folgt, erfüllt sogar mich, das zehnjährige Jungmädel, mit Grauen. Die Deutschen machen Razzien, mehr als dreitausend Menschen werden verhaftet, mehr als dreizehnhundert hingerichtet. Täglich erscheinen in den Zeitungen die Listen mit den Namen der Exekutierten. Die Dörfer Lidice und Ležáky, in denen man Helfer der Attentäter vermutet, werden dem Erdboden gleichgemacht, sämtliche männlichen Bewohner werden erschossen, die Frauen und Kinder ins KZ geschickt. Schließlich werden durch Verrat die Attentäter ausgeforscht, sie

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