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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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damals natürlich nicht. Vlasta, eine andere Mitschülerin, ist eindeutig rassisch wertvoll: schön und blond. Für ihre Eltern, denke ich mir später, kann die Entscheidung fürs Deutschtum nicht leicht gewesen sein. Der alttschechische Name Vlasta und die Zugehörigkeit zu den Böhmischen Brüdern, auf die Vlasta Wert legt, lassen auf eine bewusst tschechisch-patriotische Familie schließen.
    In der Schule lernen wir Rassenkunde. Das Beste, was man in dieser Hinsicht sein kann, ist nordisch, und das bedeutet: blond und blauäugig. Das nordischste Kind in meiner Klasse ist Gretl Lehmann, sie kommt aus Norddeutschland, hat weißblonde Zöpfe und himmelblaue Augen und ist ausgezeichnet in Völkerball. Ein Musterexemplar. Gretl ist ein nettes Mädchen, aber ein bisschen langweilig. Ein weiteres Merkmal, an dem man nordische Menschen erkennen kann, ist der germanische Langschädel. Wir messen gegenseitig unsere Schädel mit dem Lineal. Hier tut sich ein Rätsel auf. Mein Bruder Hans Heinrich hat nämlich einen perfekten germanischen Langschädel, aber mein Bruder Jakob, trotz gleicher Gene, einen ebenso perfekten slawischen Rundschädel. Wie ist so etwas möglich? Ich weiß es nicht, und meine Lehrerin weiß es auch nicht.
    Ich selber bin natürlich nicht nordisch, meine Haare sind braun und meine Augen ebenfalls. Ich bin auch nicht germanisch, denn ich habe eine asiatische Großmutter, was mir aber keine Minderwertigkeitskomplexe verursacht. Ich finde asiatische Großmütter ganz interessant. Als es irgendeinmal heißt, Mischlinge sollen sich nach dem Unterricht beim Direktor melden, zeige ich auf. Ich bin gemischt europäisch und asiatisch, also ein Mischling. Aber der Direktor schickt mich weg, er ist ein wenig geniert und ungehalten. Japanische Großmutter? Nein, nein, das interessiert ihn nicht. Ein wenig verdutzt verlasse ich sein Büro.
    Auch im HJ-Heimabend lernen wir etwas über Rasse. Ein höherer HJ-Führer kommt zu uns, sein Thema ist England. Was ist charakteristisch für die Engländer?, will er wissen. Der Krieg ist inzwischen fortgeschritten, Bomben fallen. Wir sagen, wie aus der Pistole geschossen: die Terrorangriffe. Die »anglo-amerikanischen Terrorangriffe« sind in aller Munde. Aber nein, die Antwort ist zwar nicht falsch, aber nicht die, die er hören will. Charakteristisch für die Engländer, belehrt uns der Gast, ist die Tatsache, dass sie ein Weltreich regieren. Sie sind eben auch nordische Menschen, und diese haben das Regieren im Blut. Ich bin einigermaßen verwirrt und nehme als Moral von der Geschichte mit, dass die Deutschen unter allen nordischen Menschen natürlich die besten sind und bald auch ein Weltreich haben werden. Aber gleich danach kommen die Engländer, die zwar böse sind, aber doch nordisch.
    Auch in unsere Schulklasse kommt ein Abgesandter von oben, ein hochrangiger SS-Offizier. Er hat ein Anliegen. Seine Frau hat ein Kind bekommen, und bei der feierlichen Namensgebung braucht er ein paar Jungmädeln, die singen, rezitieren und bei der Feier assistieren sollen. Er sucht sich seine Mädeln aus. Gretl Lehmann ist natürlich die erste Wahl, aber auch ich bin, wiewohl nicht nordisch, unter den Auserwählten. Er erklärt uns den Ablauf der Zeremonie. Es ist viel vom Ahnenerbe die Rede, dessen man sich würdig erweisen muss, und von der Sippe, deren Teil man ist. Es wird viel aus der Edda zitiert, und der Höhepunkt des Ganzen ist, dass die Mutter – angeblich nach altgermanischer Art – ihr Neugeborenes auf einem Schild dem Vater präsentiert, der es dann als Mitglied der Sippe akzeptieren muss.
    Ich finde das alles zwar ein wenig seltsam, aber hochinteressant und erzähle zu Hause aufgeregt von der bevorstehenden Feier. Meine Mutter sagt sofort nein. Eine Namensgebung? Was ist das überhaupt? Eine heidnische Taufe? Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass du bei so etwas mittust. Alles Bitten hilft nichts. Ich bin sehr enttäuscht. Besonders das Baby auf dem Schild hätte ich fürs Leben gern gesehen.
    Da ist er wieder, der Zwiespalt und die Unsicherheit darüber, wohin ich gehöre. Wer ist »wir« und wer sind »die andern«? Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand zu Hause klipp und klar gesagt hätte: Die Nazis sind Verbrecher, wir sind dagegen, du sollst mit ihnen nichts zu tun haben. Es sagt aber auch niemand: Wir sind dafür. Ich spüre eine vage Ablehnung, auch ein wenig Spott, und auch ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen meinem Hang zur Bewunderung und

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