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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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haben sich in der Prager Cyrill-und-Method-Kirche verschanzt. Wir kennen diese Kirche vom Vorbeifahren. Tagelang wird die Kirche belagert, dann wird ihr Keller geflutet. Die Attentäter verüben Selbstmord, der Pfarrer, der ihnen Unterschlupf gewährt hat, wird gefoltert und hingerichtet.
    Für den toten Heydrich gibt es eine riesige Trauerfeier. Tausende Tschechen werden zu einer Loyalitätskundgebung auf den Wenzelsplatz beordert. Eine besondere Demütigung für viele, die sich über den Tod dieses »Henkers« freuen, aber nun Trauer bekunden müssen. In der Zeitung sehen wir die Fotos der Witwe und der Söhne. Sie gehen ins selbe Gymnasium wie meine Brüder.
    Bei alldem sind wir wiederum nur Zuschauer. Wie die Tschechen die Ereignisse erlebt haben, erfahre ich erst viele Jahre später als Fernsehkorrespondentin in Prag. Wie man täglich zitternd die Todeslisten in den Zeitungen durchsah, auf der Suche nach den Namen von Freunden und Bekannten. Die Opferzahl unter den Intellektuellen war besonders hoch. Wie man bei jedem Läuten an der Tür zusammenzuckte. Meine Freundin Jiřina Siklová, Tochter eines Arztes, erzählt, dass ihre Mutter jeden Tag nach der Sprechstunde nachsah, ob im Wartezimmer kein Patient zurückgeblieben war. Sie rechnete damit, dass die Attentäter die Adressen von zuverlässigen Ärzten bekommen hatten, die sie bei Bedarf aufsuchen konnten. Jiřinas Vater hatte erklärt, er würde im Falle des Falles seine ärztliche Pflicht erfüllen und die Leute behandeln. Das aber hätte den sicheren Tod bedeutet, nicht nur für ihn, sondern auch für seine Familie.
    Vom Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 erfahre ich in einem Sommerlager der Hitlerjugend. Ich bin todunglücklich dort, nicht, weil ich Waldlauf, Flaggenappell und politische Schulung missbillige, sondern weil ich als notorische Einzelgängerin das ständige Zusammensein mit vielen anderen Kindern schwer aushalte. Wir schlafen in einem großen Schlafsaal mit Stockbetten, nie ist Ruhe, und ich sehne mich nach meinem stillen Zimmer in der Bud’ánka. Als unsere Gruppenführerin uns zusammenruft und vom fehlgeschlagenen Attentat erzählt, ist mein erster Gedanke: Gottseidank, jetzt kann ich nach Hause. Wir hören die Stimme des Führers, er spricht von »ehrvergessenen Offizieren«, die ihm nach dem Leben getrachtet haben. Mich lässt das Ganze eher kalt.
    Einer dieser ehrvergessenen Offiziere war übrigens mehrmals Gast bei uns zu Hause. Seit einiger Zeit kommt oft eine Gruppe junger Leute zu uns, die in Prag studieren. Es sind hauptsächlich verwundete und nicht mehr felddiensttaugliche Soldaten, die die Erlaubnis zum Studium bekommen haben, und junge Frauen, unter ihnen die Kunsthistorikerin Johanna Herzogenberg. Wir kennen sie über gemeinsame Verwandte. Hanni schleppt ihre Freunde mit zu uns, sie bringen Leben ins Haus, freuen sich über ein warmes Essen und diskutieren gern über Gott und die Welt. Ich finde sie alle wunderbar erwachsen, schön und gescheit. Unseren Vater nennen sie »Erasmus, den Weisen«. Ein paar Mal ist auch Friedrich Karl Klausing dabei, ein schmaler junger Mann, Offizier in einem Potsdamer Regiment, auch er nach einer schweren Kriegsverletzung vom Frontdienst befreit. Er wird später Adjutant des Hauptattentäters Stauffenberg und bald nach dem 20. Juli in Plötzensee hingerichtet.
    Auch Papi ist mittlerweile wieder zu Hause. Man hat ihn aus der Wehrmacht hinausgeworfen, weil sein Bruder Dicky in der amerikanischen Emigration eine Anti-Nazi-Rede gehalten hat. Sippenhaftung. Die Führung des Dritten Reiches ist misstrauisch geworden und durchkämmt die Streitkräfte nach unzuverlässigen Elementen. Aristokraten sind generell suspekt. Durch den sogenannten Prinzenerlass wurden die Mitglieder der ehemals regierenden Häuser eliminiert, nach dem 20. Juli die preußischen Regimenter im Umfeld der Attentäter unter die Lupe genommen.
    Für meinen Vater ist das ein schwerer Schlag. Er war gern Soldat, im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg. »Mühsale und Entbehrungen« haben ihm nie viel ausgemacht. Er war in Russland beim Stab des Generals Ewald von Kleist stationiert, den er mochte und schätzte, ebenso wie seine Kameraden. Das waren alles Nazigegner, aber pflichtbewusste deutsche Soldaten und Patrioten, schreibt Papi in seinen Erinnerungen, Kleist ebenso wie er selber ein Bewunderer der russischen Literatur und ein bekennender Protestant. »In meinem Stab ist man evangelisch oder katholisch, gottgläubig kenn ich

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