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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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Heldenverehrung und einem kindlichen Befremden über manches, was uns in der Schule und bei der Hitlerjugend geboten wird. Den Führer zu lieben, wie es ein deutsches Mädel sollte, fällt mir zum Beispiel schwer (»dieses G’sicht …«). Am ehesten kann ich mich noch mit dem berühmten Bild befreunden, auf dem Adolf Hitler als Gralsritter zu Pferde dargestellt ist, in silberner Rüstung, eine Lanze in der Hand. Ritter ist immer gut.
    In meiner Mädchenschule habe ich nun viele Mitschülerinnen aus dem sogenannten Altreich, Kinder von Funktionären, die in der Protektoratsverwaltung arbeiten. Ich bin stolz darauf, dass ich mich in Prag ein wenig auskenne und hier zu Hause bin. Mit meinen Kenntnissen mache ich mich vor den Neuen gern ein bisschen wichtig. Da ist es ein Schock, als wir wieder einmal eine Rede eines Parteifunktionärs anhören müssen und dieser sagt: Deutsche Mädel, vergesst nie, dass ihr hier in Feindesland seid. Feindesland? Ich bin fassungslos. Die anderen finden nicht viel dabei. Ich erzähle zu Hause, was ich gehört habe, und bin nur halb beruhigt, als meine Mutter sagt: Unsinn, du bist hier in keinem Feindesland, du bist hier zu Hause. Und ob Mařenka und Emilka etwa Feindinnen seien? Nein, natürlich nicht. Aber das Giftwort bleibt hängen und die Verwirrung auch.
    Germanisches spielt jetzt eine große Rolle in unserem Unterricht und bei unserer Lektüre. Ich lese die germanischen Heldensagen und eine Auswahl aus der Edda. Meinem Vater erzähle ich von der Weltesche Yggdrasil, dem Fenriswolf, der dort wohnt, und dem Eber Gullinbursti mit den goldenen Borsten. Papi hört sich das alles eher amüsiert an, er ist kein Germanenbewunderer. Gullinbursti? Zahnibursti, sagt er. Ich muss wider Willen lachen und erschrecke gleichzeitig. Darf man das eigentlich? Sich über ein heiliges Buch lustig machen? Ist das so ähnlich wie über biblische Geschichten lachen?
    Papi schenkt mir die griechischen Sagen in der Ausgabe von Gustav Schwab und meint, Odysseus sei ein viel interessanterer Held als Siegfried. Das finde ich auch. In der Nibelungensage ist nicht Siegfried mein Liebling, sondern seltsamerweise der »grimme Hagen«. Mich fasziniert, dass dieser düstere Krieger von Anfang an weiß, dass die Fahrt zu den Heunen nicht gut ausgehen wird, und sie trotzdem unternimmt. Eine Art edler Tragik liegt über dieser Figur, für so etwas bin ich empfänglich. Die griechischen Sagen zu lesen ist zwar nicht verboten, aber ich habe das unbestimmte Gefühl, dass darin etwas leicht Subversives liegt. Es darf doch nicht sein, dass irgendjemand besser ist als die Germanen. Oder doch?
    Ähnlich geht es mir mit meinem absoluten Lieblingsbuch, dem »Kampf um Rom«, jener zu seiner Zeit beliebten Schwarte von Felix Dahn über die Goten in Rom. Ich lese es dreimal hintereinander. Hier sind meine Helden der letzte Gotenkönig Teja, der, als alles verloren ist, sein Grab im Vesuv findet, aber auch der elegante römische Senator Cetegus, der Inbegriff römischer Verfeinerung und Dekadenz im Gegensatz zum kraftvollen Naturburschentum der germanischen Goten. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil mir dieser Mann gefällt und der blondgelockte Gotenkönig Totila mich langweilt. Ich bin eben nicht wirklich germanisch, sage ich mir und frage mich, ob ich mich darüber kränken soll oder nicht.
    Die Buben sind auch bei der HJ. Die Hitlerjungen tragen kurze schwarze Hosen, und es ist Mode, diese Hosen so kurz wie möglich zu halten. Je mehr Oberschenkel sichtbar ist, desto besser, auch bei den großen Burschen. Die Pimpfenuniform ist interessanter als unsere, denn zur Ausstattung gehört auch ein großes schwarzes Fahrtenmesser mit einem kleinen Hakenkreuz am Griff. Ich bin insgeheim neidisch auf dieses Utensil. Jakob hat darüber hinaus auch noch eine Trommel, eine sogenannte Landsknechtstrommel. Er hat sich zum Fanfarenzug gemeldet und darf seine Trommel auch mit nach Hause nehmen, zum Üben. Die Trommel ist fast so groß wie er. Als er mit ihr mit der Elektrischen fahren will, ruft der Kondukteur gutmütig: Hinten einsteigen, Pane Hitler.
    Bin ich ein begeistertes Hitlermädel? Nehme ich ernst, was ich in der Hitlerjugend höre? Wie passt das zusammen mit meiner katholischen Erziehung? Und: Was bekomme ich mit von der Judenverfolgung? Was lerne, höre, sehe ich vom Judenhass der Nazis? Was sagen meine Eltern dazu? Beim Versuch, mich zu erinnern, fällt mir keine relevante Äußerung ein. Es ist wohl nicht viel darüber

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