Zuhause ist ueberall
reisen? Doch was hilft’s. Mein Einstand wird ein wenig kleinlaut, aber meine Arbeitgeber nehmen es mit Humor. Und nach einiger Zeit taucht der Koffer auch wieder auf, von British Railways treulich abgeliefert.
Mein erstes Ziel ist Pixton Park, ein großzügiger Landsitz in der Grafschaft Somerset. Bei uns würde man dazu Schloss sagen, aber hierzulande ist auch ein Palast ein Country House. Dieses ist ein schöner klassizistischer Bau mit weißen Säulen, es gehört Lady Herbert, der Witwe des verstorbenen Earls von Carnarvon. Lady Herbert ist eine Freundin meiner Großtante Gretl Coudenhove, und diese ist es auch, die mich hierher vermittelt hat. Tante Gretl ist Halbjüdin. Kurz vor dem »Anschluss« Österreichs ans Deutsche Reich war sie, begleitet von ihrer Kammerjungfer Betty, zu Besuch nach Pixton gefahren und gleich dort geblieben, als die Rückkehr ins besetzte Österreich nicht ratsam erschien. Aus den geplanten drei Wochen wurden viele Jahre. Tante Gretl und Betty sind inzwischen fester Bestandteil des Haushalts.
Lady Herbert ist eine massive grauhaarige Frau, mit schönen Augen und einem dröhnenden Lachen, das sie oft hören lässt. Eine große Dame in abgewetzter Strickjacke. Die Herberts sind Katholiken. Sie sind in den Zwanzigerjahren zum katholischen Glauben konvertiert, inspiriert vom Oxford Movement, dessen Leuchten die Schriftsteller Gilbert K. Chesterton und Hilaire Belloc waren. Beide waren Freunde des Hauses. Belloc, Autor des schönen Kinderbuchs »Cautionary Tales for Children«, war häufiger Gast in Pixton. Diese katholischen Intellektuellen und Aristokraten mit ihren vielfältigen Beziehungen zum Kontinent, ein wenig exzentrisch und ein wenig suspekt, waren und sind eine Art exotischer Farbtupfer in der englischen katholischen Bevölkerungsgruppe, die hauptsächlich aus armen irischen Einwanderern besteht. Die Herberts sind Säulen des Katholizismus in der Region. Am Sonntag ist es Brauch, dass man auf dem Weg in die Kirche in der Kreisstadt Taunton zwei ebenfalls katholische Weiblein aus der Umgebung im Auto mitnimmt. Lady Herbert ist eine praktische Person. Sie hat einen Sohn und drei Töchter, und zu diesen schickt sie mich nun, um auf deren Kinder aufzupassen.
Fünf Jahre nach Kriegsende hat sich das Leben in England noch immer nicht auf dem Vorkriegsniveau eingependelt. Erst im Vorjahr wurden die Lebensmittelkarten abgeschafft. Eine Labour-Regierung ist im Amt. Und für den englischen Landadel ist klar, dass die alten Zeiten mit ihren ungeheuren Privilegien für die Oberschicht und den gewaltigen Klassenunterschieden nicht mehr wiederkommen werden. Im Krieg haben alle ihren Beitrag geleistet. In den großen Landsitzen waren praktisch überall Bombenflüchtlinge aus den Großstädten einquartiert. Natürlich auch in Pixton.
Die Männer waren eingerückt, und die Frauen leisteten, verbreiteter als in Deutschland, ebenfalls verpflichtenden Kriegseinsatz, als Luftschutzwartin, als Rettungsfahrerin, in der Land Army, einer Art landwirtschaftlichem Arbeitsdienst, oder in den weiblichen Abteilungen der Streitkräfte, dem Heer, der Luftwaffe und der Marine. Had a good war?, fragt man sich gegenseitig. Ehrensache, dass man auf irgendeinen Einsatz verweisen kann. Und natürlich ist auch das unübersehbare Heer der Dienstboten zusammengeschmolzen, das vor dem Krieg in den verschiedenen Country Houses zugange war. Butler, Kammerdiener, Zofen und Gouvernanten gibt es nicht mehr. Die Lords und Ladies müssen selbst Hand anlegen, unterstützt von ein paar jugendlichen Hilfskräften wie mir.
Lady Herberts älteste Tochter heißt Gabriel, sie hat einen Franzosen namens Gérard Dru geheiratet, einen stillen Intellektuellen, und lebt mit ihm und ihren beiden kleinen Mädchen auf einem kleineren Landsitz nicht weit von Pixton. Sie sieht so aus, wie ich gern aussehen würde: blond, groß und gertenschlank, meistens in Hosen und Reitstiefeln. Im Krieg hat sie Krankentransporte gefahren, das kann sie noch aus ihrer Zeit im Spanischen Bürgerkrieg. Dorthin hat sie sich als junges Mädchen freiwillig gemeldet, aber nicht, wie viele, die ich später kennenlerne, auf der Seite der Republik, sondern auf der Seite Francos. Die meisten Katholiken standen rechts und kämpften gegen die gottlosen Kommunisten.
Ich betreue die Kinder, putze, so gut ich kann, und blamiere mich, weil ich mich erbötig mache, einen Wiener Apfelstrudel herzustellen. Ich habe so etwas noch nie gemacht, und das Resultat wird, wie man
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