Zuhause ist ueberall
hätte voraussehen können, ein Desaster. Gabriel hat Pferde, die kleinen Mädchen sind begeisterte Ponyreiterinnen, aber an Reitjagden dürfen sie noch nicht teilnehmen. Es gibt jetzt wieder Fuchsjagden, und in Pixton versammeln sich, wie in Vorkriegszeiten, die Jäger in ihren roten Röcken mit ihrer kläffenden Hundemeute. Ich darf mit den Kindern mit unseren Fahrrädern den Reitern folgen und zuschauen, wenn diese in wildem Galopp über die Hecken setzen, dem Fuchs auf den Fersen. Es sieht aus wie ein Gemälde aus dem 18. Jahrhundert. Somerset eignet sich gut für solche Jagden. Weite, saftige, unglaublich grüne Wiesen breiten sich aus, kleine Bäche dazwischen und ein Gewirr von struppigen Hecken als Unterteilung, die in der schönen Jahreszeit weiß und rosa blühen. Am Ende des Sommers reichen die Drus mich an Gabriels Schwester Bridget weiter. Gerard meint, sie müssten mir für später ein Zeugnis ausstellen, und schreibt hinein: »hardworking, with much charm.«
Bridget ist Witwe, ihr Mann, Captain Tony Grant, ist im Krieg gefallen. Jetzt betreibt Bridget seine Farm allein. Ein altes graues Steinhaus in Devonshire, verwittert und gemütlich. Ställe mit Milchkühen, Hühner, natürlich Ponys für die Kinder. Hier ist nun wirklich harte Arbeit angesagt. Bridget, vor dem Krieg begehrte Debütantin in den Londoner Ballsälen, schuftet wie ein Pferd, und ich helfe ihr, so gut ich kann. Ich habe melken gelernt und gehe nun jeden Morgen mit der Melkmaschine in den Stall. Am Anfang ist es mir ein wenig unheimlich, die Saugknöpfe der Maschine an den Eutern der Kühe festzumachen und dann, möglichst gleichmäßig, den Milchstrahl in den Melkeimer zu leiten. Aber bald gewöhne ich mich an die Kühe, braune, gutmütige Tiere, kleiner als unsere in Österreich, und diese gewöhnen sich an mich.
Während ich melke, steht Robin, den ich betreuen soll, neben mir und konjugiert seine lateinischen Verben. Amo, amas, amat, intoniert er und muss dabei aufpassen, dass ihm die Kuh nicht mit ihrem Schwanz ins Gesicht fährt. Robin ist acht, ein strohblondes Kerlchen mit Haaren, die ihm nassgebürstet vom Kopf abstehen wie einem Igel. Er soll nächstes Jahr auf die Public School gehen, auf das berühmte Internat Ampleforth. Die englischen Oberschichtkatholiken schicken ihre Söhne zu den Benediktinern, entweder nach Downside oder, wie die Herberts, nach Ampleforth. Die Schule gilt als ausgezeichnet, aber schwer. Ich soll Robin darauf vorbereiten. Das ist nicht immer leicht. Wenn mein Schüler von unseren Übungen im Kuhstall genug hat oder nicht weiter weiß, läuft er einfach weg. Ich, auf meinem Melkschemel unter der Kuh festgehalten, kann ihm nicht nachlaufen.
Und nachher muss alles Melkgerät noch blitzsauber geschrubbt werden, denn Bridgets Milch hat die höchste Qualitätsmarke, und die darf auf keinen Fall gefährdet werden. »Davon leben wir«, hat Bridget mir eingeschärft. Die Milch wird in großen Schüsseln in der Milchkammer aufbewahrt und bildet dann die wunderbare Devonshire Cream, eine Art bröckelige Rahmschicht, die man abschöpft und zum Tee reicht. Auch Kompott und überhaupt jederlei Dessert wird damit geadelt.
Ich bin als Kriegskind, was Essen angeht, nicht verwöhnt, aber ich hätte hier in England doch ganz gern mit der guten österreichischen Küche angegeben. In Anbetracht des verunglückten Apfelstrudels lasse ich das aber lieber bleiben. Englische Küche zu lernen, mache ich mir nicht die Mühe. Steak and Kidney Pie, Fleisch mit wässerigem Gemüse, Rice Pudding. Muss man nicht können. Einzig der Nachmittagstee und das Frühstück sind herrlich, vor allem bei Bridgets Mutter in Pixton, wo es noch eine Köchin gibt. Da steht beim Frühstück nicht nur das obligate Ham and Eggs auf dem Tisch, sondern jeden Tag etwas anderes, darunter seltsame Dinge wie Kedgeree, eine Art Fischrisotto, gebratene Nieren oder Bohnen mit Tomatensauce.
Evelyn Waugh Anfang der Fünfzigerjahre
Robin ist das jüngste von Bridgets drei Kindern, aber in diesem Jahr ist noch ein viertes bei ihr, ihre Nichte Margaret. Diese ist eine Tochter von Bridgets zweiter Schwester Laura und dem Schriftsteller Evelyn Waugh. Waugh hat als guter Katholik sieben Kinder – der jüngste heißt folgerichtig Septimus –, aber sie machen ihn mit ihrem Lärm beim Schreiben nervös, und er verteilt sie deshalb gern auf seine Verwandten. Die zehnjährige Margaret ist ein aufgewecktes Kind, eine Leseratte und eine kleine Besserwisserin. Als
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