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Zuhause ist ueberall

Zuhause ist ueberall

Titel: Zuhause ist ueberall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Coudenhove-Kalergi
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–, wohnt in Untermiete. In den gutbürgerlichen Wohnungen in den universitätsnahen Vierteln kleben fast über jeder Türglocke etliche selbstgemalte Kärtchen mit der Aufschrift: Müller 1 Mal läuten, Meier 2 Mal läuten, Schmidt 3 Mal läuten.
    Viele alleinstehende Frauen, die berühmten Hofratswitwen, bessern ihre knappe Pension auf, indem sie Teile ihrer Wohnungen vermieten. Viel adaptiert wird dabei nicht. Die Hausfrau hat sich ins Schlafzimmer zurückgezogen, Wohnzimmer, Speiszimmer, Kinderzimmer und die Dienstbotenkammer sind vermietet. Ein Bett oder ein Sofa wurde zwischen den vorhandenen Möbeln aufgestellt, das genügt. Wenn der Untermieter oder die Untermieterin Glück hat, darf sie das Bad mitbenutzen, wenn nicht, muss er oder sie eine Waschschüssel auf dem Tisch balancieren. Und am Samstag geht man ins Tröpferlbad, eine segensreiche Einrichtung, die es damals noch überall in Wien gibt.
    Das Thema Küche ist ein Kapitel für sich. Manchmal darf man ein Eckchen des Kühlschranks in Beschlag nehmen und dort sein Töpfchen Milch und sein Stückchen Butter deponieren. Häufiger ist die Methode, etwaige Lebensmittelvorräte im Winter zwischen die Doppelfenster zu stellen. Im Sommer geht das nicht. Dann muss man eben auf Leichtverderbliches verzichten und die Dose mit dem Brot im Kleiderschrank unterbringen.
    Besuche im Untermietzimmer? Herrenbesuche bei möblierten Damen sind meist undenkbar. Freundinnen werden manchmal geduldet, manchmal nicht. Telefonanrufe für Untermieter oder Untermieterin stören. Wohlerzogene Untermieter lassen sich deshalb nur dann anrufen, wenn es wirklich brennt. Wollen sie selbst telefonieren, legen sie Geld in ein dafür vorgesehenes Schüsselchen oder machen einen Strich auf einem bereitgestellten Schreibblock. Und selbstverständlich fassen sie sich kurz.
    Man kann die Vermieterinnen verstehen. Fremde Leute in der eigenen Wohnung sind nun einmal eine Last. Es geht nur, wenn man aufeinander Rücksicht nimmt und sich an einen ausgeklügelten Benimmcode hält. Im Wien der Fünfzigerjahre ist dieser Code allgegenwärtig, und trotzdem ist Zoff zwischen Vermieter – meist ist es eine Vermieterin – und ihren Untermietern an der Tagesordnung. Das einzig Gute daran: Er bietet unerschöpflichen Stoff für Gespräche, für Klatsch und Tratsch.
    Ich finde nach dem Hinausschmiss aus dem Studentinnenheim zunächst eine Art eigene Wohnung. Es ist eher ein Loch, ein ebenerdiger fensterloser Raum, der auf einen Hinterhof hinausgeht. Nebenan ist eine Tapeziererwerkstatt, der Tapezierer arbeitet draußen auf dem Hof. Oben im Haus übt jemand Klavier, der Tapezierer und ich hören stundenlang die Tonleitern und manchmal auch ein richtiges Musikstück. Ich finde diese Lokalität romantisch, ich denke an Montmartre und stelle eine Topfblume vor meine Tür. Aber das Loch lässt sich nicht heizen, und als der Herbst kommt, muss ich mir ein Untermietzimmer suchen.
    Im Lauf der Zeit werden es viele. Ich arbeite mich langsam hinauf, von weniger netten zu immer besseren. Der Tiefpunkt ist ein eiskaltes Speiszimmer mit einem Esstisch für zehn Personen und einem riesigen geschnitzten Buffet aus deutscher Eiche, darüber hängt das Porträt des verstorbenen Hausherrn. Zwischen Tisch und Buffet steht eingeklemmt ein Messingbett. Eine Mit-Untermieterin muss durch das Zimmer gehen, wenn sie ihr eigenes Zimmer erreichen will, und als Waschraum dient uns die Toilette der Wohnung, angereichert durch eine winzige Waschschüssel aus Blech. Als ich es nach einigen Jahren zur ersten eigenen Bleibe bringe, komme ich mir vor wie im Himmel. Die neue Wohnung ist ganze 22 Quadratmeter groß, inklusive Badezimmer und Kochnische, sie hat schräge Wände und einen Blick auf den Donaukanal. Und eine Wohnungstür, die man hinter sich abschließen kann. Ich schaffe es sogar, in diesem Puppenheim Gäste zu bewirten.
    Aber wichtiger als Studium und Wohnen ist mir schon bald meine Arbeit bei der Caritas. Der Direktor dieser kirchlichen Einrichtung ist Monsignore, später Prälat, Leopold Ungar. Er ist einer der wirklich bemerkenswerten Leute der frühen Zweiten Republik. Anfang der Fünfzigerjahre hat er gerade die Caritas übernommen, eine »bessere Suppenküche«, wie er zu sagen pflegt, die er innerhalb kurzer Zeit zu einer gewaltigen Hilfsorganisation ausbauen wird. Damals residiert sie in einer schäbigen Etage am Währinger Gürtel. Ungar ist ein charmanter und weltläufiger Mann, ein geistreicher und witziger

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