Zum ersten Mal verliebt
Sie trug ihr grünes Kleid mit den kleinen rosaroten Gänseblümchengirlanden, ihre Seidenstrümpfe und ihre silbernen Stöckelschuhe. Im Haar und um den Hals trug sie goldene Stiefmütterchen. Sie sah so schön und jung aus, dass selbst Sophia Crawford nicht umhinkonnte, sie zu bewundern. Und Sophia Crawford bewunderte nur sehr wenige irdische und vergängliche Dinge. Cousine Sophia und Susan hatten mittlerweile ihren alten Streit beigelegt, das heißt, sie sprachen einfach nicht mehr darüber, seit Cousine Sophia nach Gien gezogen war. Cousine Sophia kam sogar häufig abends auf ein nachbarschaftliches Schwätzchen herüber. Susan war davon nicht immer begeistert, denn Cousine Sophia sorgte nicht eben für Erheiterung. »Es gibt kurzweilige und langweilige Besuche, liebe Frau Doktor«, sagte Susan einmal und legte damit die Vermutung nahe, dass letztere sich auf Cousine Sophia bezogen. Cousine Sophia hatte ein langes, blasses, faltiges Gesicht, eine lange, dünne Nase, einen langen, dünnen Mund und sehr lange, dünne, blasse Hände, die sie gottergeben auf ihrem schwarz gekleideten Schoß zu falten pflegte. Alles an ihr wirkte lang und dünn und blass. Jetzt musterte sie Rilla mit trübsinnigem Blick und sagte düster: »Sind deine Haare alle echt?«
»Was glaubst du denn!«, rief Rilla empört.
»Oje!«, seufzte Cousine Sophia. »Es wäre besser für dich, wenn das nicht alles deine wären. So viele Haare zehren an der Kraft. Das deutet auf Schwindsucht hin, habe ich gehört, aber ich hoffe, dass das bei dir nicht stimmt. Ich nehme an, ihr geht heute Abend alle tanzen, wahrscheinlich auch die Pfarrersjungen. Ich kann nur hoffen, dass die Pfarrerstöchter nicht so weit gehen. Oje, ich habe noch nie viel vom Tanzen gehalten. Ich kenne ein Mädchen, das ist tot umgefallen, während es tanzte. Wie jemand nach einer solchen Strafe Gottes noch tanzen gehen kann, ist mir schleierhaft.«
»Ist sie denn wieder tanzen gegangen?«, fragte Rilla vorlaut. »Ich habe dir doch gesagt, dass sie tot umgefallen ist. Natürlich ist sie nie wieder tanzen gegangen, du Dummkopf. Sie war eine Circe und stammte aus Lowbridge. Du willst doch wohl nicht mit so nackigem Hals unter die Leute gehen, oder?«
»Es ist heiß draußen!«, protestierte Rilla. »Aber auf dem Wasser werde ich mir einen Schal umlegen.«
»Vor vierzig Jahren ist schon mal ein Boot voller junger Leute über den Hafen gesegelt, es war genauso ein Abend wie heute - ganz genauso ein Abend wie heute«, sagte Cousine Sophia mit kummervoller Stimme. »Und dann sind sie umgekippt und ertrunken, allesamt. Nun ja, ich hoffe, dass euch so was heute Abend nicht auch passiert. Unternimmst du denn gar nichts gegen deine Sommersprossen? Ich fand Wegerichsaft immer ganz gut.«
»Du musst dich ja auskennen mit Sommersprossen, Cousine Sophia«, sagte Susan zu Rillas Verteidigung. »Du warst doch ais junges Mädchen scheckiger als jede Kröte. Rillas Sommersprossen kommen wenigstens nur im Sommer zum Vorschein, aber deine klebten doch jahraus, jahrein an dir. Und du hattest nicht so eine schöne Gesichtsfarbe darunter wie sie. Du siehst wirklich hübsch aus, Rilla, und deine Frisur steht dir gut. Aber du hast doch nicht vor, in diesen Stöckelschuhen zum Hafen zu laufen, oder?«
»Nein, nein. Bis ans Wasser tragen wir alle unsere alten Schuhe und die guten nehmen wir mit. Gefällt dir mein Kleid, Susan?«
»Es erinnert mich an ein Kleid, das ich als junges Mädchen getragen habe«, seufzte Cousine Sophia, ehe Susan antworten konnte. »Es war auch grün mit rosaroten Blumensträußchen und es war von der Taille bis zum Saum mit Volants besetzt.
Wir trugen damals nicht solche Fähnchen wie die Mädchen heutzutage. Oje, die Zeiten haben sich geändert, und das nicht zum Besten, fürchte ich. An jenem Abend riss ich mir ein großes Loch in das Kleid und jemand verschüttete eine Tasse Tee darauf. Es war völlig ruiniert. Aber ich hoffe, dass dir mit deinem Kleid nichts passiert. Ein bisschen länger könnte es allerdings sein, finde ich, deine Beine sind so furchtbar lang und dünn.«
»Mrs Blythe mag es nicht, wenn kleine Mädchen sich wie Erwachsene anziehen«, sagte Susan, nur um Cousine Sophia zurechtzuweisen. Aber Rilla war gekränkt. Kleine Mädchen, ha! Wütend rauschte sie aus der Küche. Noch mal würde sie nicht auf die Idee kommen, sich vor Susan zu zeigen, bevor sie ausging. Für die war man doch erst mit sechzig erwachsen! Und diese schreckliche Cousine Sophia erst
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